: Das Versprechen der Nacht
„Ich kann mich eher in so einen alten sympathischen Sack hineinversetzen“: Ein Porträt der Berliner Chansonsängerin Cora Frost anlässlich ihres neuen Programms „Palast der Liebe“
von KATRIN KRUSE
Ob das mit dem Foto sein müsse, hatte sie am Telefon gefragt. Sonderlich fotogen nämlich fühle sie sich nicht im Moment, zwei Tage nach der Premiere, ohne Zeit zum Ausruhen. Als Cora Frost dann in die Bar jeder Vernunft kommt, im Ledermantel und ungeschminkt, wirkt sie nicht wirklich erschöpft, sondern mehr zurückgenommen, als wolle sie keine Energien an Überflüssiges verschwenden. Im Restaurant reagiert die Kellnerin weder auf Handzeichen noch auf ein recht leises „hallo“: „Wenn man ‚hallo‘ ruft, sind die immer beleidigt. Aber was soll man denn rufen in Deutschland? ‚Entschuldigung‘ ist wohl immer noch am besten.“ Cora Frost kann mit einer sehr gelassenen Selbstverständlichkeit sehr anwesend sein.
„Palast der Liebe“ nennt Frost ihr neues Stück in der Bar jeder Vernunft, in dem sie zugleich Regie führt, eine „Hommage an die untergehende Welt der Tanzpaläste und Stripteaseclubs“. Die Geschichte des Mädchens Flora ist die einer Suche. Cora Frost erzählt sie ohne Ironie, ohne spöttische Distanz. So sucht Flora ihre Seele, nicht ihre „Seele“. Die Flora-Darstellerin Angela Schubot trifft ihre Seele in der Bar – in Gestalt eines dicken nackten Mannes. Der wird sie von da an begleiten, auf der laufstegartigen Bühne immer dicht am Publikum vorbei. Kontrast zum Hochglanz ist das und vielleicht etwas maliziös: das Publikum als Voyeur wider Willen.
Mit 31 Jahren kam Cora Frost 1994 von München nach Berlin. Seitdem hat sie vier Liederabende gespielt und aufgenommen, ein Buch mit dem Titel „Mein Körper ist ein Hotel“ veröffentlicht und die Hauptrollen in zwei Filmen Rudolf Thomés gespielt. Die „schräge Diva“, heißt es gern über sie, mondän sei sie, androgyn und von kühlem Charme. Zwar hat Cora Frost angefangen von ihrem Programm „Starimbiss“ bis hin zur aktuellen CD „Nexte Lied“ die Grenzen des Chanson immer mehr erweitert und Szenarien und Charaktere jenseits des Stardoms geschaffen. Trotzdem hieß es gern, sie „rotze ihre Programme so hin“, ganz wie die Dietrich. Das mag nicht verwundern. Weg von der Enklave Kreuzberg, hin zur Hauptstadt: Im Versuch, das „Neue Berlin“ dort zu verankern, wo es einmal unterbrochen worden war, schimmern die Zwanzigerjahre sehr golden. Berlin, das war doch einmal der Ort, wo Atmosphäre sich zum „Fluidum“ verdichtete, Frauen „Geschöpfe“ waren und die Nacht noch ein Versprechen bereithielt.
Wenn Cora Frost sich jetzt mit „Palast der Liebe“ den Tanzpalästen der Zwanzigerjahre zuwendet, dann scheint sie der nostalgischen Suche nach dem Fluidum ebenso nachzukommen wie dem Bedürfnis, sich selbst in ihrer „eigenen Geschichte“ zu sehen. Denn der Blick auf Cora Frost ist immer auch voyeuristisch gewesen: auf die Frau, die sich „an ihren weiblichen Körper erst gewöhnen musste“, auf das Mädchen, das als Stripperin gearbeitet hat. So ist die Geschichte der Flora auch die Geschichte Cora Frosts. Die aber, auch wenn sie im Hintergrund das ganze Programm über singt, als Person gar nicht auftaucht. Sie führt zwar als Barchef und Conferencier durch das Programm. Aber die Gestalt des Gerard Brüchmann hält nichts bereit für einen genusssüchtigen Blick. Er mag über Brüchmanns spärliches Haupthaar, seine dürftige Rasur bis zu den breiten Hüften unter dem dunkelroten Satinhemd wandern: Er wird keine Sexy Sadie darin finden können. Für Cora Frost ist der Weg von der Diva zu Brüchmann gar nicht so weit. „Jeder Mensch trägt alles in sich. Und das sind dann meine Rollen“, sagt sie. „Gerard Brüchmann ist mir näher als die Diva. Ich kann mich eher in so einen alten sympathischen Sack hineinversetzen als in das gängige Frauenbild. Das ist einfach öde.“
Dabei ist ja gerade Cora Frost bescheinigt worden, ganz frei und heiter und mit gebotener ironischer Distanz die Rollen wechseln zu können. Aber Grenzen werden erst in ihrer Überschreitung sichtbar. Und dann regen sich Widerstände. „Eklig“ sei dann die Reaktion auf sie, meint Frost. Sie sieht die „stylishe Spießigkeit der 50er“ zurückkehren: „Im Moment muss alles so perfekt sein und gestylt, dass es nicht mal mehr Spaß macht, sich schön zu machen. Es wird einem dadurch weggenommen, das finde ich schade.“
So hat der „Palast der Liebe“ auch ein nostalgisches Moment. In der Bar ging es früher auch um Tanzkunst und die Erhöhung eines als kostbar geltenden Körpers. Heute ist es Sex, der verkauft wird „wie ein Nogger oder ein Cappuccino“. Cora Frost löst diese Ambivalenz nicht auf. Trotzdem hat sie weder einen wehmütigen Blick auf das vermeintlich vitalere Damals noch die Vorstellung, man könne Sehnsüchte nur mittels Ironie und Zitat kommunizieren. „Ich finde, im Moment ist keine Zeit der Zerstörung, weil schon genug zerstört wird. Und natürlich kann man das an so einem Ort eher zeigen, wo Leute nur noch damit beschäftigt sind, zu kaufen und zu verkaufen: die Reste ihres Lebens zu verwalten. Und dann zu zeigen, dass da doch noch etwas ist, was entzündet werden kann.“
Später, beim Fotografieren vor der Bar jeder Vernunft, fällt ihr Gerard Brüchmann wieder ein. „Was hat sie mir wieder entlockt“, sagt sie und lacht. „Ich sehe schon die Überschrift: ‚Ich bin ein alter Sack!‘“
„Palast der Liebe“, Sa./So., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24
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