: Nicht Eva und nicht Maria
■ Der Seitensprung ist keineswegs nur den Männern vorbehalten – Frauen reden nur nicht so viel darüber. Gegenüber Gisela Runte haben sie es doch getan
Wie Frauen fremdgehen, erklärt jetzt Gisela Runte. Die Psychotherapeutin und Dozentin hat 37 Frauen über ihre Seitensprünge befragt und darüber ein Buch geschrieben („Wie Frauen fremdgehen“, 14,90 Euro) – ursprünglich als Dissertation geplant, „aber warum soll ein so spannendes Thema im Regal verstauben“, fand Gisela Runte und schrieb das lieber für alle auf. Kürzlich war sie im Frauenbildungszentrum belladonna zu Gast.
taz: Gehen Frauen anders fremd als Männer?
Gisela Runte: Sie gehen genauso fremd wie Männer. Aber sie fragen sich viel mehr: Warum tue ich das? Was bedeutet das für die bestehende Beziehung? Sie gehen damit auch nicht so offen hausieren wie die Männer, die sich damit oft ihrer so genannten Männlichkeit brüs-ten. Bei Frauen ist der Seitensprung eher negativ gefärbt und wenig toleriert – das geht in Richtung Herumhuren, leichtes Mädchen, leicht zu haben. Das Gleiche wird unterschiedlich bewertet. Deshalb gehen die Frauen auch anders damit um – indem sie es eher für sich behalten.
Ist es ein Klischee oder ist es wirklich so, dass Frauen immer verliebt sein müssen, wenn sie fremdgehen?
Das „immer“ stört mich. Natürlich geht eine Frau fremd, weil sie sich total verliebt hat oder eine ganz tiefe Liebe empfindet. In meinem Buch schildert eine Frau ihre Affäre wie ihre große Liebe und ihre Partnerschaft eher als das alltägliche Zusammenleben. Eine andere Frau bezeichnet es als Fremdgehen, dass sie mit jemandem Gefühle, Freizeitverhalten viel mehr teilte als mit ihrem Mann. Mit ihrem Freund ist sie nicht mal ins Bett gegangen. Es gab zwar viel körperliche Nähe, aber keine Sexualität.
Würde ein Mann so etwas auch als Fremdgehen erklären?
Ich glaube, dass die Partner solcher Frauen so etwas nicht so schlimm finden. Die Empörung setzt meist dann ein, wenn es sexuell wird. Dann sind die Männer getroffen, eifersüchtig. Das andere tolerieren sie viel leichter – Frauen wiederum nicht.
Aber Liebe muss nicht immer im Spiel sein?
Gar nicht. Viele tun es aus purer Lust am Sex. Mir wurde oft beschrieben, wie im alltäglichen Zusammenleben der sexuelle Reiz verloren ging, weil er nicht gepflegt wurde, weil der Alltag die Beziehung immer wieder überschattet. Dann hatten die Frauen für die Lust und die sinnlichen Freuden jemanden anders.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich so ausgiebig mit dem Thema zu beschäftigenn?
Ich wurde sehr rigide erzogen und habe sehr unter den starken Klischees und dem damit verbundenen Druck gelitten. Ich erlebe in meiner beruflichen Praxis viele Frauen, denen es so geht. Und ich erlebe viele junge Frauen, die sehr unter den genormten, jugendlich frischen, immergleichen 90-60-90-Körpern aus den Medien leiden. Frauen sind weder die Hure, die nur Sex im Sinn hat. Noch sind sie nur die Mutter oder schwesterliche Partnerin. Diese Kluft zwischen Eva und Maria oder Hure und Mutter gibt es immer noch. Darin findet sich kaum eine Frau wieder. Aus dieser Not heraus spalten sie: Geborgenheit hier, Aufregung da. Obwohl die meisten Frauen sagen: Hätte ich beides in einem, ich würde das Fremdgehen sofort aufgeben.
Wen hätten sie dann lieber: den Mann zu Hause oder den Liebhaber?
Beide in einem. Genauso wie die Frauen gerne beides wären für ihren Partner.
Was würden Sie schätzen: Wie viele Frauen gehen eigentlich fremd?
Als ich mich nach Interviewpartnerinnen umgeguckt habe, hat nur eine einzige gesagt: Da habe ich nichts zu bieten. Bei fast allen Frauen gab es das Phänomen, dass sie ihre Seitensprünge nicht sofort präsent hatten. Sie erzählten aus ihrem Leben und plötzlich kam: Ach ja, da fällt mir ein ... Oder: Den hab ich ja ganz vergessen – ein Urlaubsflirt, ein Kurschatten.
Wenn eine Affäre mal rauskommt, sind Männer dann beleidigter als Frauen?
Fast durchgängig kommt die Reaktion, bei Frauen sei es ganz was anderes, als wenn Männer fremdgingen. Immer wieder erstaunlich. Männer sind häufig stark gekränkt. Bei Beziehungen, in denen er durchaus mal fremdgegangen ist und sie nie, zerbrach die Beziehung, wenn sie es dann tat. Weil das ja was ganz anderes sei.
Ihre Message: fremdgehen und genießen?
Ich möchte Frauen dazu einladen, zu ihrer Individualität zu stehen – so schwer das ist unter der Macht der Stereotypen – und nicht zu glauben, dass es ein Patentrezept gibt, weder für die treue Beziehung noch fürs Fremdgehen. Ich möchte dazu aufrufen, dass wir wieder Individuen sein dürfen, dass wir auch ab 40 noch eine Sexualität haben, auch ab 75 Kilo, und damit in Erscheinung treten dürfen. Das war auch mein Anliegen: Die geheimnisvolle Frau, die in den Medien nicht mehr vorkommt, wieder ins Spiel zu bringen.
Fragen: Susanne Gieffers
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