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Rabus-Symposion: Minderheiten & Mehr

 ■ Ein Symposion als Event: Vier Tage lang ging's in der Galerie Katrin Rabus um Musik im Fernsehen

Dicke Sopranistinnen mit einem Riesenvibrato, denen man in die Goldfüllungen hineinsehen kann, vier Violinsaiten, auf denen die Finger akrobatisch umherrasen, ein Trommelwirbel, ein Tenor, der rot werdend seine Stimme in die Höhe schraubt oder auch Pling plong aus der zeitgenössischen Musik: Ist das Musik im Fernsehen? Das ist es leider auch, aber darum ging es nicht im viertägigen Symposion in der Galerie Katrin Rabus mit dem Titel „The look of the sound“. Die Galeristin, deren kulturpolitische Aktivitäten unter anderem mit der Kulturinitiative „Anstoß“ den ein oder anderen PolitikerIn vielleicht nicht unbedingt schlaflose Nächte, so aber doch anstrengende Stunden des Nachdenkens abfordert, und die Liebhaberin von zeitgenössischer Musik, hat in diesem Symposion/Festival ihren Interessen und Fragen in Zusammenarbeit mit den Sendern ARD, ZDF und Arte eine Gestalt gegeben, die ihr vier Tage lang ein volles Haus sicherte.

Alle gegen den ARD-Programmchef

Die so oft totgesagte Gattung „Podiumsdiskussion“, die sich häufig in monologischen Sprechblasen und schwer erträglichen Selbstdarstellungen präsentiert, an denen noch der beste Moderator nichts ändern kann, machte hier mehr als Sinn. Gut, zu einer wirklichen Diskussion kam es aus Zeitgründen nicht, aber man vermisste es auch (fast) gar nicht angesichts des geballten Kalibers hochkarätiger, höchst kontroverser Beiträge.

In die Enge geriet – das war vorauszusehen – Günter Struve, der Programmdirektor der ARD. Die ARD sei mit dem Unterhalt von Sinfonieorchestern und Chören ohnehin der „größte Musikproduzent“ , auch und besonders der zeitgenössischen. Aber Sendeplätze für ein nicht vorhandenes Publikum? Das sei zynisch. (Dazu ist zu bemerken, dass Einschaltquote Null immerhin 10.000 Zuschauer meint). Gleichwohl richte er, der Musikliebhaber, der so gern in Konzerte geht und einmal Sinfonieorchester an ihrem Klang unterscheiden konnte, einen Spartenkanal für Musik ein.

Klar wurde das scharf gekontert von dem Produzenten Manfred Frei, dem wie so manchen von uns schlecht wird angesichts der Häppchen und der Starkulte von „Achtung Klassik“ und dem „Unsinn, den die Leute nur noch sehen“. Das sei zynisch und „das Wort Einschaltquote müssen Sie sich verbieten“. Laurent Andres, der Direktor des deutsch-französischen Arte sprach sich dafür aus, dass abgefilmte Aufführungen nicht Fernsehen sind, sondern – freilich notwendige – Dokumentationen.

Die Sache mit den Minderheiten: Da meinte die Regisseurin Bettina Ehrhardt, die einen hochsensiblen und bewegenden Film über die Freundschaft des Komponisten Luigi Nono mit dem Dirigenten Claudio Abbado und dem Pianisten Mauricio Pollini zeigte, dass von 100 Menschen zehn Verbrecher und zehn Heilige seien. Das bestimme die Gesellschaft, nicht die schweigende Mehrheit. Auch der Intendant des Berner Sinfonieorchesters René Karlenwarf warf Struve vor, dass ihm mit dem Quotenzeiger der Qualitatszeiger verlorengegangen sei.

Bernd Kauffmann, der Chef einer Kulturstiftung, meinte gar, Musik sei etwas anderes als Fernsehen, insofern gehöre sie gar nicht dahin, und man könne nur noch unterscheiden zwischen „billigem Glück und erhabenem Leid“, wie er Dostojewski zitierte. Die Zeit sei anders geworden, „wir haben ohnehin kein Gefühl mehr dafür, was Kultur ist“, also weg damit. „Warum wollen Sie denn ins Fernsehen?“, fragte er provokativ die Komponisten und Filmemacher.

Ja, warum? Der Moderator Klaus Wenger, der Geschäftsführer von Arte Deutschland, bekannte sich jenseits aller künstlerischen und fernsehspezifischen Filme zur Aufgabe der Bewahrung des kulturellen Erbes: Jetzt zeichne man die Stuttgarter „Ring“-Inszenierung auf.

Filme und fast bilderlose Musik

Eine zweite Diskussion richtete sich ausdrücklich gegen den Pessimismus: Es ging darum, was das denn sei, der „Look of the Sound“. Und da stellte sich heraus, dass keiner von den anwesenden Filmemachern im Auftrag oder gar als Geldverdienst seine Arbeit macht, sondern aus Leidenchaft für die Sache: Jonathan Haswell von BBC, dem mit Musikanalyse und Aufführung ein fantastischer Film über Strawinskis „Le Sachre du printemps“ gelungen ist, Uli Aumüller, der auch schon mal die Hälfte des Budgets aus eigener Tasche bezahlte und hier mit Filmen über die Komponisten Helmut Lachenmann, Conlon Nancarrow und György Ligeti vertreten war, Bruno Monsaingeon, dessen Filme über die Geige in jeder Sequenz die tiefe Liebe zum Instrument erkennen ließen, und Bettina Ehrhardt, die ihren Film ohne jede finanzielle Zusage herstellte. „Es müssen Bilder für die Gefühle der Musik gefunden werden“ (Haswell), „Ich suche durchsichtige Bilder, die den Blick auf die Klänge freigeben“ (Uli Aumüller), und „Wie kann ich das Fach- und das Laienpublikum versöhnen und will ich das überhaupt?“ (Bruno Monsaingeon). Alles Statements, die uns Ohren und Herz für einen reflektierteren Umgang mit dem Musikfilm im Fernsehen – welchem auch immer – öffneten.

Und bitte: Sagen sie nicht Einschaltquote

Und Anschauungsmaterial gab es ohne Ende: Filme über Interpreten (Svjatoslav Richter, Glenn Gould, Jaqueline Dupré, Maria Callas, und zahllose Jazz-Filme, Filme über Werke wie die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach (Achim Freyer), „Le Sacre du printemps“ von Strawinsky (Jonathan Haswell), „Von heute auf morgen“ von Arnold Schönberg (Jean Marie Straub), „Dichterliebe“ von Robert Schumann (Oliver Herrmann), Filme über Komponisten, Dokumentationen wie „Comedian Harmonists“ (Eberhard Fechner), Filme eigener Bild-Musik-Ästhetik wie „Metamorphosen“ von Achim Freyer oder auch „Deserts“ von Bill Viola mit der Musik von Edgar Varèse: Diese Thematik sollte im nächsten Festival einen Schwerpunkt bekommen.

Denn Katrin Rabus plant, die Auseinandersetzung zweijährlich durchzuführen. Unabhängig vom medien- und kulturpolitischen Sinn einer diesbezüglichen Kontinuität würde der Publikumsandrang dieser Tage eine solche Unternehmung zwar nicht legitimieren (bitte nicht Einschaltquote), aber doch kräftig unterstützen. Nicht zu vergessen, dass auch noch von Zuzana Pesselova aus der Glocke die Frage nach Musik für Kinder, die es seit dem Kultfilm über Beethoven von Leonhard Bernstein aus den sechziger Jahren überhaupt nicht mehr gibt, attraktiv aufbereitet wurde.

Ute Schalz-Laurenze

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