: Der Himmel kann charten
Bibelfest – und Spaß dabei! Ursprünglich als Teil seiner Abschlussarbeit an der Art School konzipiert, kehrt Daniel Smith als singender Prankster-Prediger zwischen Micky-Maus und Frank Black in Berlin mit seiner Danielson Famile ein
Es gibt Landstriche in den USA, in denen würden die Danielson Famile nicht weiter auffallen. In diesen Gegenden ist die nächste größere Stadt meistens um die 500 Meilen entfernt, und auf den Nachttischchen ihrer Bewohner liegt die Bibel gleich neben der Schrotflinte bereit. „Unsere Musik“, sagt Daniel Smith, Kopf der Danielson Famile, „ist eine sprituelle, heilende Kraft“, deswegen tritt die „Famile“ prinzipiell in Krankenpfleger- und Schwesternuniformen auf. Um die reinigende Kraft ihrer Musik zu verstärken. Charles Manson hat Ähnliches übrigens in den 60ern auch über seine Musik gesagt, leider hat seine eigene Familie später mit ihrem inneren Frieden gebrochen und der Hippie-Ära ein jähes Ende bereitet. Aber es ist noch nicht aller Tage Abend; nicht zu spät also, das „Fun“ zurück in den „Fundamentalismus“ zu bringen.
Die Danielson Famile, deren Schreibweise weiß – … ähhm … – Gott nicht die einzige Exzentrik bleibt, hat das in den letzten Jahren so überzeugend geschafft, dass die Grenzen zwischen Moderne und Neuem Testament, Stadt und Land, (Post-)Punk und White Christian Music ins Schwimmen geraten sind. Die Verlockung einer völlig ironiefreien Zone im Sinne einer echt duften, kirchentagstauglichen Erfahrung mit Jesus, wie sie vor einigen Jahren auch die hanseatischen „Jesus Freaks“ (ihr Motto: Breit vom HL. Geist) propagierten und die von uns spirituell verarmten Großstädtern etwas hilflos als kruder Exotismus goutiert wird, weist allerdings kleine konzeptuelle Unstimmigkeiten auf, die von Daniel Smith mit der Emphase einer Bergpredigt hinfort geredet werden. Denn die Anfänge der Danielson Famile finden sich natürlich auf der Kunsthochschule, wo Daniel im Alter von 19 Jahren seine Abschlussarbeit – einen aus Decken modellierten Nachbau des Smith’schen Familienautos, ergänzt um eine Geschichte, in der er erklärt, wie Gott ihn durch den Wagen von seinen „selbstherrlichen Elementen“ befreit hatte – mit einem kleinen launischen Set religiösen Liedguts präsentiert hatte. Die Probeaufnahmen der Smith-Geschwister wurden später unter dem Titel „A Prayer For Every Hour“ veröffentlicht, produziert hatte das quäkige kleine Juwel der Shimmy-Disc-Chef und Ex-Bongwater-Kopf Kramer. Damit ist man auch schon aus der Illusion jener unvergleichlichen Kraft der Musik durch ein blindes Urvertrauen in seine von Gott gegebenen Instrumente gerissen. Denn auf dem Altar der Danielsons stand damals natürlich wie bei jedem von emotionalen und spirituellen Krisen geschüttelten Teenager mindestens eine Sonic-Youth-Platte. Aber sonst ist alles echt.
Gewisse Vertrautheiten müssen allerdings auch gewährleistet sein beim Drift durch das absonderliche Paralleluniversum der Danielson Famile, in dem Einflüsse von Jad Fair und Flaming Lips, White Gospel und Country Folk von so spleenigen Autodidakten wie Nervous Norvus gleichberechtigt nebeneinander existieren können, ohne dass die Mission unter diesem bahnbrechenden Eklektizismus zu leiden hätte. Daniel Smiths reichlich penetrante Stimme kippt in den nicht gerade seltenen Momenten der religiösen Ekstase in ein hoch frequentes Falsett zwischen Micky Maus und Frank Black, dazu klingt meistens sanft ein ätherisches Glockenspiel. Dann und wann auch mal ein zackiger Marschrhythmus. Man kann schon verstehen, dass diese seltsame Musikgruppe in den Staaten gerade als kleine Sensation gefeiert wird, wenn auch die Musik selbst in ihrer schrillen Psychedelik nur schwer hörbar ist.
Ob nun Prank oder nicht, da gibt es also endlich wieder jemanden in der amerikanischen Indie-Szene, der wirklich noch an etwas glaubt. Der einen notorischen Misanthropen wie Steve Albini dazu nötigt, drei Wochen auf einer Matratze zu schlafen, um sie produzieren zu dürfen. Irgendwie sind die Danielsons schon eine Offenbarung.
ANDREAS BUSCHE
Magnet Club, heute, 22 Uhr, Greifswalder Str. 212/213
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