die familie des bischofs von RALF SOTSCHECK:
Von Harry Browne hatte ich schon vor 20 Jahren gehört. Zu meiner angeheirateten Verwandtschaft in Timahoe, einem langweiligen Dorf in der irischen Grafschaft Laois, gehörte – wie zu jeder guten irischen Familie – ein katholischer Pfarrer. Der lebte in den USA. Eine andere Familie in Timahoe hatte ebenfalls einen Priesteronkel in den Vereinigten Staaten, und zwischen beiden Sippen entbrannte eine Art Wettstreit: Jedes Mal, wenn einer der beiden Pfaffen auf Heimatbesuch nach Irland kam, musste das ganze Dorf geputzt und geschmückt werden, und zwar schöner als beim Besuch des gegnerischen Pfarrers. So nahm der Aufwand für die Dorfverschönerung im Lauf der Jahre immer absurdere Dimensionen an. Zum Schluss sperrte man sogar die Gemeindewiese, auf der bis dahin die Kinder spielen durften, und errichtete ein Denkmal für den irischen Präsidenten Childers, das von unserem US-Pfarrer enthüllt wurde.
Meine Tante Nora war beim Pfaffenwettstreit stets im Vorteil, weil ihr der Dorfladen gehörte, an den ein Postamt angeschlossen war. Jedes Telefongespräch musste von ihr vermittelt werden. Wenn die Verbindung hergestellt war, hätte sie sich eigentlich ausklinken müssen, aber man will ja wissen, was im Dorf vor sich geht. So erfuhr sie immer als Erste, wann der Pfarrer der Gegenseite anrücken würde, und konnte den Dorfputz ein wenig sabotieren.
Eines Tages kündigte Noras Pfarrer seinen Besuch im folgenden Monat an. „Ich habe eine große Überraschung für euch“, sagte er. „Ihr werdet stolz auf mich sein.“ Tante Nora schlussfolgerte, dass er zum Bischof ernannt worden sei, und verbreitete die Nachricht in Windeseile: „Der Bischof kommt.“ Nora stand fortan wie ein Pfau hinter ihrem Ladentisch, denn der Pfarrerwettbewerb schien ein für alle Mal entschieden.
Das war er dann auch. Aber anders, als Tante Nora gedacht hatte. Als Father Henry aus Boston ins grandios aufgetakelte Dorf einritt, hatte er Ehefrau und drei Kinder dabei. Der älteste war Harry Browne, damals 15. Father Henry hatte seinen Priesterhut an den Nagel gehängt. Tante Nora schloss den Laden für eine Woche und versteckte sich unterm Bett.
Harry ist inzwischen Journalist bei der Irish Times und spielt mittwochs Fußball mit unserer Thekenmannschaft, den Dubliner Elfen. Er habe erst mit neun Jahren erfahren, dass sein Vater Pfarrer sei, erzählte Harry. Einer seiner Freunde habe ihn gefragt, warum er nie in die Kirche gehe, wenn sein Vater die Messe lese. Bis dahin dachte Harry, sein Vater gehe einem anständigen Beruf nach, wenn er morgens das Haus verließ. Die Kirche wusste über ihren unzölibaten Angestellten Bescheid, übte aber keinen Druck auf ihn aus. Es war das FBI, das ihn seinen Job kostete. Father Henry war nämlich Anti- Vietnamkriegs-Aktivist und warf schon mal bei den Musterungsbehörden die Fensterscheiben ein. Das FBI überredete die Kirche, sich von dem unorthodoxen Pfarrer zu trennen.
Father Henry ist nun schon lange tot. In New York haben sie eine Straße nach ihm benannt: den Father Henry J. Browne Boulevard.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen