: Kiels Trauma steht vor der Heilung
Nach dem 36:29-Heimsieg im Hinspiel des EHF-Cups stehen die Chancen der THW-Handballer günstig, endlich einmal den großen FC Barcelona bezwingen zu können. Vor allem in der ersten Halbzeit verdiente sich Kiel dabei das Prädikat Weltklasse
aus Kiel ANKE BARNKOTHE
„Ich werde hier nicht alles sagen, was ich denke. Die Kieler haben eine hervorragende Leistung gezeigt, und ich gratuliere ihnen zum Sieg. Aber das Ergebnis ist nicht gerecht.“ Valero Rivera, seit 18 Jahren Handballtrainer beim spanischen Eliteclub FC Barcelona, war nahe daran, die Contenance zu verlieren. Sah er seine Mannschaft nach der 29:36-Niederlage beim THW Kiel doch allzu oft durch „eine ungleiche Bewertung der Situationen durch die Schiedsrichter“ benachteiligt. Vermutlich ratterte Rivera hinter seinem angestrengt um Fassung ringenden Äußeren gerade die Statistik der Chancenauswertung seines Teams herunter. Und die war so miserabel gewesen, dass allein dieser Faktor gereicht hätte, den Trainer zur Weißglut zu bringen.
Ganz anders stellte sich die Befindlichkeit seines Gegenübers dar: „Ein Ergebnis, wie man es sich nur wünschen kann. So wie der Spielverlauf war, hätte der Sieg sogar noch höher ausfallen können. Meine Mannschaft hat mich selbst überrascht“, bilanzierte THW-Coach Zvonimir Serdarusic. Nachvollziehbar war diese Zufriedenheit allemal, schon weil sein durch vier Langzeitverletzte dezimiertes und daher zum Saisonende überstrapaziertes Team innerhalb von 14 Tagen die gesamte Palette von Höhen und Tiefen präsentiert hatte. War die deutliche DHB-Pokal-Niederlage vor zwei Wochen in Hamburg gegen den TBV Lemgo noch eher der Stärke des Gegners zuzuschreiben gewesen, blamierte sich die Serdarusic-Sieben zumindest kurz darauf in der Liga mit dem 26:27 beim Tabellenvorletzten Schwerin bis auf die Knochen. Und selbst wenn der klare Formanstieg und der daraus resultierende Sieg gegen GWD Minden am vergangenen Mittwoch den Trainer schon optimistischer gestimmt hatte, mit dieser Weltklasseleistung gegen Barcelona, zumindest in der ersten Halbzeit, hatte er einfach nicht gerechnet.
Seine Stimmungslage am besten zum Ausdruck bringen konnte Johan Pettersson. Der schwedische Rechtsaußen des THW befand: „Wir sind überglücklich. Das war ein tolles Spiel unserer Mannschaft. Die erste Halbzeit war wie im Traum.“ Da sprach vermutlich auch die persönliche Erleichterung aus den Tiefen einer Handballerseele. Denn für Pettersson wird diese Saison, ob letztlich mit oder ohne EHF-Cup, mit Sicherheit die ereignisreichste seiner Karriere bleiben: Im Oktober hatte er sich im Spiel gegen den VfL Gummersbach bei einem Zusammenprall mit dem gegnerischen Torwart lebensgefährlich verletzt, nach schneller Genesung gewann er dann im Februar den Europameistertitel mit Schweden im eigenen Land. Und auch was die jüngste Vergangenheit anbelangt, hat gerade Pettersson besonderen Grund zur Freude: Gegen Barcelona war der Gegenstoßspezialist mit neun Treffern der erfolgreichste Werfer auf dem Parkett und ein wichtiger Faktor für den verdienten Sieg des THW. Weitere Erfolgsgaranten waren einmal mehr seine Landsleute Wislander, Olsson und Lövgren, diesmal allerdings auch ganz besonders Mattias Andersson. Der erst 24-jährige Torwart, der im vergangenen Jahr vier Monate lang beim FC Barcelona aushalf und anschließend vom THW verpflichtet wurde, hatte den Spaniern mit einigen Glanzparaden auch noch den letzten Nerv geraubt.
Auch wenn an der Kieler Förde ob des deutlichen Sieges kurzfristig die kollektive Glückseeligkeit ausgebrochen war, wissen doch alle Beteiligten nur zu gut, dass man sich auf diesem Hinspielsieg nicht wird ausruhen können, schließlich ist Barca im heimischen Palau Blau Grana immer noch eine Macht. Dennoch: Nie stand der THW aussichtsreicher davor, sein Barca-Trauma ablegen und gegen die Katalanen gewinnen zu können. Wenn schon nicht in der Champions League, dann doch wenigstens im EHF-Cup.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen