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Unterhaching kehrt zurück

Nach dem erschreckend harmlosen 1:2 gegen Werder Bremen wehrt sich Tabellenführer Bayer Leverkusen gegen die nackte Angst, wieder auf der Zielgeraden versagen zu können

Jens Nowotny: „Wir haben einigermaßen versucht, Fußballzu spielen“

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Bis Samstag 15 Uhr 30 hatten sie ein Luxusproblem in Leverkusen: bloß nicht vorfeiern. Nichts organisieren. Lieber als belächelter Pessimist dastehen denn nachher als Stadt der Deppen wie im Unterhaching-Jahr 2000, als sie am letzten Spieltag bei der Münchener Vorort-SpVgg untergingen. Und ganz Leverkusen hatte sich daran gehalten: Kein Schmuck, keine Fahnen, nichts war in diesen Tagen in den Fenstern zu sehen. Der Oberbürgermeister ist sogar in Urlaub gefahren. Und von Manager Reiner Calmund kursierte unter der Woche der Satz, er werde jeden eigenhändig erschießen, den er bei Jubelergüssen praecox erwische.

Am Samstag um 17 Uhr 21 waren sie ratlos und sprachlos. Gesagt haben sie nach dem erschreckenden 1:2 natürlich eine Menge, was bei Calmund niemanden verwundert, weil der wahrscheinlich noch seine eigene Beerdigungsrede halten wird. Mit dem Schlusspfiff rollte der Manager armrudernd vom Ort des Grauens weg, erklärte sich „wahnsinnig enttäuscht“, versuchte es mit Menscheln („Wir sind keine Roboter“) und zählte keuchend die 16:2-Ecken auf, die Chancen, den verschossenen Elfer. Alles Ablenkungsmanöver, denn das klar bessere Team in diesem „sehr aufregenden Spiel“ (Werder-Trainer Thomas Schaaf) war Werder Bremen gewesen. Das Schlimmste aber, so Calmund, der sein Lebenswerk („Ich will die Schale“) bedroht sieht: „Jetzt sind auch die Bayern wieder auf der Rechnung.“

Die Angst ist wieder da, sie kam sofort nach der Enttäuschung. Sie war in den Gesichtern der Zuschauer abzulesen. Und sie war aus den wachsweichen Statements herauszuhören. Rudi Völler („die Tabelle ist wieder ein bisschen zusammengerückt“) sprach als Erster das Unwort aus: Unterhaching. Aber: Er sei sicher, so der DFB-Teamchef, dass die Elf das Trauma „gut verarbeitet“ habe, als Team „stabiler“ sei als damals und mit einem „gewissen Selbstvertrauen“ gesegnet.

Am Samstag war davon wenig zu sehen. Werder Bremen erschreckte Bayer (zuletzt fünf Ligaheimsiege zu null, dazu große Europacupnächte) mit aggressivem Forechecking und immer neuen personalstarken Kontern. Das schaffte Respekt und lähmte den Titelaspiranten mit jeder Minute mehr. Gekonnt hielt Werder Bayer vom Strafraum weg, da, wo deren individuelle Könner auf engen Räumen auch bei Hektik ihre Klasse entfalten können. „Der letzte Tick“ habe gefehlt, sagte Trainer Klaus Toppmöller. Am Ende hat alles gefehlt.

Bayers Kapitän Jens Nowotny gelang der schönste Defensivsatz: „Wir haben einigermaßen versucht, Fußball zu spielen.“ Sein Keeper, Jörg Butt, lag auf dem Platz daneben; erst dieser haltbare 35-Meter-Schuss von Lisztes (5.), dann der verschossene Elfmeter (38.). Butt, der Bayers Torwart-Problem lösen sollte, hält zwar schon die gesamte Saison solide, hat aber noch kein Spiel aus dem Feuer gerissen. Wat nu?

Reiner Calmund: „Jetzt sind auch die Bayern wieder auf der Rechnung“

Das Champions-League-Halbfinale mit dem Spiel in Manchester, eigentlich glorioses Saisonhighlight, soll jetzt bloß noch helfen, die böse Angst zu verdrängen. Rudi Völler: „Es ist ein Vorteil, Mittwoch ein Spiel zu haben.“ Trainer Klaus Toppmöller merkte an, man sei als Nächstes „im Ausland tätig“. Das klang wie: Wir sind unter der Woche auf Montage. Und hoffentlich abgelenkt genug vom Druck und den aufkeimenden Sticheleien daheim vom ewigen Zweiten. Aber der nächste Samstag kommt bestimmt. Und ein Spiel müssen sie mindestens noch gewinnen. In Nürnberg? Am letzten Spieltag gegen Hertha?

Gegen Bremen hat Bayer seine potenzielle Unfähigkeit bewiesen, Mussspiele zu gewinnen. Dass der kreidebleiche Reiner Calmund nach dem Teilhaching noch einmal das Feierverdikt verteidigte („Sollte ich denn vorher Lametta organisieren und Girlanden aufhängen?“), hatte angesichts der grundsätzlich veränderten Lage unfreiwillig komische Züge. Aber die Begründung zielte in eine interessante Richtung: „zu überheblich“ wäre das doch gewesen. Sagen wir es so: Bayer war eine Woche lang ausdauernd zu unterheblich. Und hat zu viel über die Nicht-Meisterschaft geredet.

Es wird dramatisch: Spreizen sie das Versagen 2002 in der Meisterschaft auf drei Hachingspiele, auf ein Triptychon des Grauens? Oder kommt gar nach dem Tanz auf drei Hochzeiten (Pokalfinale) am Ende der große titellose Todesfall? Alle dachten daran, niemand wollte es aussprechen. Aber: Ist Verdrängen wirklich der richtige Weg?

Bayer Leverkusen: Butt – Schneider, Lucio, Nowotny, Placente (80. Zivkovic) – Ramelow (71. Sebescen), Ballack, Bastürk, Ze Roberto – Neuville, Kirsten (46. Berbatow)Werder Bremen: Rost – Baumann, Verlaat, Krstajic – Stalteri (62. Wehlage), Frings, Lisztes (87. Banovic), Ernst, Skripnik - Borowski, Ailton (80. Klasnic)Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)(32.), 1:2 Ailton (61.)

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