„Praktikable Zahl“

Grüner Dialog: Wenn es keine 100-prozentige Gentechnik-freiheit gibt, reichen der Bundesregierung 99 Prozent

BAD NEUENAHR taz ■ Umfassende Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel hat Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) am Wochenende auf einer Tagung in Bad Neuenahr gefordert. Nur damit könne die „Grundfreiheit“ gewährleistet werden, „dass der Verbraucher auswählen kann, was er kaufen will“.

In dem Eifelstädtchen waren die Teilnehmer des von Künast initiierten Diskurses zur grünen Gentechnologie“ zusammengekommen. In dessen Rahmen sollen Gegner und Befürworter aus Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft, Umweltschutz und biologischem Landbau gemeinsam Empfehlungen für die Regierung erarbeiten. Anfang September soll der Abschlussbericht vorliegen. Abzusehen ist, dass es keinen Konsens geben wird. Die Umweltverbände werden bei ihrem Nein zur Kommerzialisierung genmanipulierter Pflanzen bleiben. Ein Ergebnis werde sein, so Heinz Laing von Greenpeace, „festzustellen, in welchen Punkten wir nicht übereinstimmen“.

Auch Jens Katzek, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, macht sich keine Illusionen. „Die Gentechnik ist nicht aufzuhalten“, sagte er. „Wir müssen die Chance zum Gestalten nutzen.“

Zu der Frage, wie mit „unbeabsichtigten und technisch nicht vermeidbaren“ gentechnischen Kontaminationen von Saatgut sowie Futter- und Lebensmitteln umgegangen werden soll, sagte Künast: „Eine Nulloption ist nicht möglich.“ Weltweit würden bereits auf über 50 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Eine 100-prozentige Gentechnikfreiheit könne bei Saatgut und Futtermitteln nicht gewährleistet werden. Deshalb unterstütze die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommisson für einen „praktikablen Schwellenwert“ von 1 Prozent.

Den Umweltverbänden und Vertretern des biologischen Landbaus ist das viel zu großzügig. Sie fürchten, dass dann auch für Biowaren kein „gentechnikfrei“ mehr garantiert werden könne. Ihre Forderung: ein Grenzwert von 0,1 Prozent, die derzeit technisch mögliche Nachweisgrenze. „Das hat sich auch bei den bisherigen Stichproben bewährt“, heißt es dazu in der Berliner Zukunftsstiftung Landwirtschaft. WOLFGANG LÖHR