: Sind Tony Blairs Tage gezählt?
aus London RALF SOTSCHECK
Die Rechte ist in Europa auf dem Vormarsch, während die Wähler in Großbritannien der Labour Party von Tony Blair im vorigen Jahr mit großer Mehrheit eine zweite Amtszeit beschert haben. Ist Großbritannien die Ausnahme? Keineswegs. Man hat vor allem die Person Tony Blair gewählt, der mehr Zeit auf seine Imagepflege als auf eine politische Vision verwendet.
Doch Tony Blair ist nicht die Labour Party, er ist nicht mal mehr „New Labour“, die entschärfte Partei, die er auf konservativen Kurs getrimmt hat. Unter seinen eigenen Genossen – im Übrigen längst ein verpöntes Wort bei Labour – ist er zunehmend isoliert. Sie nahmen mit Verblüffung zur Kenntnis, dass sich der Premierminister mit seinen Kollegen in Italien und Spanien, Silvio Berlusconi und José María Aznar verbündet hat. Denn diese sind schließlich die beiden rechtesten Regierungschefs in der Europäischen Union.
Entsetzt waren die Labour-Mitglieder außerdem über Blairs öffentliches Zerwürfnis mit John Monks, dem Chef des Gewerkschaftsdachverbandes, der sich wie kein anderer Gewerkschafter für die Transformation zu New Labour eingesetzt hatte. Und dann war da noch die Sache mit den Manschettenknöpfen. Bei einem Staatsbesuch in Australien trug Blair ein Hemd, auf dessen Manschettenknöpfen eine nackte Frau abgebildet war. Obwohl das schon eine Weile her ist, wird unter den Parteigenossen noch immer heftig diskutiert, warum der Premierminister seinen Gegnern solch billige Munition geliefert hat. Hält er sich für unverwundbar?
Das ist er nicht. Wichtigster Kritikpunkt seiner parteiinternen Gegner ist Blairs Unterwürfigkeit gegenüber US-Präsident George Bush. Kaum hatte der im Rahmen seines Kreuzzuges gegen den Terror von einem Angriff auf Irak gesprochen, sprang Blair ihm freudig zur Seite. Inzwischen haben 120 Labour-Abgeordnete ein Papier unterschrieben, in dem Blair vor einer solchen Aktion gewarnt wird. Aus dem Kabinett sind Rücktrittsdrohungen zu hören, sollte es mit dem Irak-Krieg ernst werden.
Hinter vorgehaltener Hand wird Blair als „Schoßhündchen von Bush“ bezeichnet, und ein Kabinettskollege riet ihm: „Vergiss nicht, Tony: Auch ein Schoßhündchen hat Zähne.“
Tony Blair ist 1994 Parteichef geworden, weil die Mehrheit der gemäßigten Labour-Mitglieder endlich wieder an die Macht wollte. Dafür haben sie einen Bruch mit vielen Parteiprinzipien hingenommen, doch sie haben nicht damit gerechnet, dass dieser Bruch so rücksichtslos und umfassend sein würde.
Der „Father of the House“, der Parlamentsälteste Tam Dalyell, prophezeite, dass es bereits auf dem Parteitag in diesem Oktober Versuche geben könnte, Blair als Parteichef abzulösen. Ein Kabinettsminister sagte, dass Blair zum Jahresende nicht mehr Premierminister sein werde.
Selbst wenn diese Vorhersagen wohl nicht eintreffen werden, so bleiben ihm nicht viel mehr als drei Jahre, denn auch die Wähler werden dem Premier auf Dauer nicht die Stange halten. Nach 18 Jahren Tory-Herrschaft hatten sie die Nase gründlich voll von Vetternwirtschaft, Bestechungsskandalen und Demontage der öffentlichen Dienste durch überhastete Privatisierungen.
Ein Vorteil Blairs freilich ist, dass ihm auf der Rechten bisher niemand gewachsen ist. Die konservativen Tories sind weiterhin schwach, und das britische Mehrheitswahlrecht verhindert das schnelle Aufkommen von kleinen Protestparteien. Allein auf kommunaler Ebene konnte die rechtsextreme British National Party Erfolge erzielen.
Die Briten waren bereit, Labour bei den Wahlen im vorigen Jahr eine zweite Chance zu geben, auch wenn es mit den öffentlichen Diensten in Blairs erster Amtszeit weiter bergab ging. Man war sogar bereit, eine Steuererhöhung im Haushaltsplan vorige Woche hinzunehmen, um der Verwahrlosung der Infrastruktur und des Gesundheitswesens Einhalt zu gebieten. Doch nun wollen die Wähler Ergebnisse sehen.
Tony Blair weiß, dass er die nicht liefern kann. Die Zahlen sprechen deutlich dagegen. Der Guardian spekulierte deshalb bereits, dass Blair in nicht allzu ferner Zukunft das Handtuch wirft. „Er hat immer betont, dass er gehen wolle, wenn er vorne liegt“, schreibt das Blatt, „und nicht warten wolle, bis er ins Hintertreffen geraten ist.“
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