piwik no script img

Fluss des Vergessens

Hommage an den lange verschmähten Denker der Wiederholung: Comic-Ausstellung im Literaturhaus über die Reise des Deleuze in die Unterwelt

von OLE FRAHM

Nach jedem Ende gibt es einen neuen Anfang oder eine Fortsetzung, sogar nach dem Tod. 1995 brachte sich der französische Philosoph Gilles Deleuze um. Bald darauf veröffentlichte der Hamburger Künstler Martin tom Dieckn mit dem Berliner Journalisten Jens Balzer ein Epitaph als Comic: Salut, Deleuze!. Eine wunderbare Hommage an den in Deutschland lange verschmähten Denker der Wiederholung: Der tote Philosoph überquert dort fünf Mal den Fluss der Unterwelt, den Fluss des Vergessens, die Lethe: Balzer und tom Dieck nutzen die Möglichkeit der Reproduktion, haben die Bilder wiederholt - und zusätzlich den Text ausgetauscht, so dass eine ganz eigene Geschichte entstand. Differenz und Wiederholung, so der Titel eines Hauptwerks von Deleuze, in popkultureller Umsetzung also.

Dieser Comic wurde international wahrgenommen. An dessen Ende schien Deleuze schließlich für immer in der Unterwelt angekommen zu sein. Er traf auf seine Freunde und Kollegen Roland Barthes, Michel Foucault und Jacques Lacan, die ihn ein letztes Mal begrüßten, bevor der Totenschiffer Charon das Boot zurücksteuerte und im Schwarzen verschwand. Das Ende der Wiederholung war erreicht.

Aber nach einem ungeschriebenem Gesetz der Populärkultur folgt auf jedes erfolgreiche Ende eine Fortsetzung. Die Serie sichert die Publikumsbindung und die Aussicht auf Profit. Außerdem wird jede Folge billiger produziert als das Original. Die Fortsetzung des Deleuze- Comics gehorcht dem Gesetz, ohne dessen Begründung zu akzeptieren. Schon im Titel spielt der zweite Band mit dem Gesetz der Serie: Neue Abenteuer des unglaublichen Orpheus verwirren: Wer ist Orpheus? Wo kommt er plötzlich her? Ging es nicht um Deleuze?

Unerwiderte Liebe von Katz und Maus mit Ziegelsteinen

Zuerst erschien dieser Comic in täglichen Fortsetzungen auf den Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und schloss damit an die Tradition des Comic-Strips an. Konsequent werden, anders als im ersten Band, verschiedene Strips zitiert, in zauberhaften Zeichnungen zwei der berühmtesten: Krazy Kat von George Herriman und Rube Goldbergs The Inventions of Professor Lucifer G. Butts. In Krazy Kat wiederholte sich über dreißig Jahre dieselbe Geschichte: Die verrückte Katze liebt die Maus, die mit Ziegelsteinen antwortet. Die Katze wiederum deutet die Ziegelsteine als Liebesbeweise. Und der Hund ist Polizist: Er liebt unerwidert die Katze und verhaftet regelmäßig die Maus.

Rube Goldberg zeichnete in seinen Strips ebenfalls über dreißig Jahre komplizierte wie sinnlose und abstruse „Was-passiert-dann“-Maschinen.

In der Unterwelt vermengen sich die Figuren des Comics und der Philosophie wie im Unbewussten. Deleuze schlägt Buster Keaton vor, eine Goldberg-Maschine zu konstruieren, „die die Vergänglichkeit selber vergehen lässt“. Eine solche Zeitmaschine verwirrt natürlich den Verlauf der darauf folgenden Geschichte, in der Deleuze wiederholt den Fluss des Vergessens überquert. Mehrfach endet die Geschichte, um am nächsten Tag von neuem abenteuerlich zu beginnen.

Dieser anspielungsreiche Comic wird nun mit einer Schau im Literaturhaus gewürdigt. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass Comics nicht als Original, sondern nur in ihren Wiederholungen existieren: Einzelne der Panels werden als Kopien vergrößert gezeigt. Wer glaubt, der Besuch lohne nicht, sollte sich vor Ort von den Zeichnungen Martin tom Diecks eines Besseren belehren lassen und sich die Zeit bis zur nächsten Fortsetzung verkürzen.

Neue Abenteuer des unglaublichen Orpheus von Martin tom Dieck und Jens Balzer. Eine Ausstellung im Literaturhaus. Eröffnung am 30. 4. Um 18 Uhr mit einem Vortrag von Andreas Platthaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen