: Neue Location Umspannwerk
Sphären & Klänge: Mit einem Auftritt von Diamanda Galás wurde „Kultur im Spannwerk“ in Kreuzberg eröffnet. Die erste Ausstellung bestreitet jetzt der spanische Künstler Angel Orensanz mit seiner Arbeit von der Biennale in Venedig
Zwei Bodenvasen mit langstieligen roten Rosen stehen am oberen Ende der Treppe, die in die Kellerräume des Umspannwerks hinunterführt. Die Stufen sind mit Blüten bestreut, ein Gang zwischen zwei Fensterfronten führt zur Eingangstür. Von drinnen ist leise Housemusik zu hören. In einer Ecke steht ein alter Transformator, sonst erinnert nichts in den Katakomben an ein Abspannwerk.
Zwölf Jahre lang war das alte Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg stillgelegt, bis vor zwei Jahren der Umbau nach Plänen des Architekten Peter-Michael Krech begann. Jetzt soll unter der Geschäftsführung der Bildhauerin Annett Baier endlich wieder Energie in das 1925 gebaute Umspannwerk kommen – künstlerische Energie.
Aus der „Energiekathedrale“ des Industriezeitalters ist ein kultureller Veranstaltungsort geworden: „Kultur im Spannwerk“. Einiges wirkt noch provisorisch: die Bar aus Bierkästen oder die halb fertigen Toiletten. Die Gäste der Eröffnungsfeier am Samstag hat das kaum gestört. Vom letzten Schliff abgesehen, sind nach dem Umbau des Umspannwerks schöne Räume für Ausstellungen, Musik oder Partys entstanden. Räume, die für sich schon faszinierend sind. Mit Klinkerfassade, groben Steinböden und vereinzelten Überresten aus ihrer Zeit als Transformatoren- oder Kühlerhalle.
Der Erste, der in den Kellerräumen ausstellen darf, ist Angel Orensanz. Schon seit über 30 Jahren sind Skulptureninstallationen des in Spanien geborenen Künstlers auf Plätzen, in Parks oder entlang von Autobahnen zu sehen. Im letzten Jahr hat er auf der Biennale in Venedig seine „Sphäre“, einen durchsichtigen Ball von drei Metern Durchmesser, durch Gassen, über Brücken und Plätze gerollt und hat sie auf einer Gondel über Kanäle gefahren. Auch in Florenz und Berlin ist er mit seiner Sphäre gewesen. Im Umspannwerk ist jetzt eine Fotoausstellung zu sehen, die einzelne Momente der Performances Orensanz’ mit der Sphäre zeigt. In einer Ecke wird ein Video abgespielt, auf dem zu sehen ist, wie Zuschauer und Passanten auf die Sphäre reagieren – vor allem Kinder sind völlig begeistert. Orensanz ist zur Vernissage selbst anwesend und lässt es sich nicht nehmen, zwischen den Säulen, an denen die Fotos hängen, mit seiner Kugel für die Fotografen zu performen.
In der Mitte des Raums führen durch einen unterirdischen Glaspavillon zwei schwarze Metalltreppen nach oben in die Transformatorenhalle. Unter den Treppen liegen helle Glasstücke in gleißendem Licht und füllen den ganzen Boden des Pavillons aus. Menschen mit Häppchen und Sektgläsern bewegen sich auf den Stufen darüber – ein bizarrer Anblick. Auch die anwesende Prominenz ist sichtlich angetan von der neuen Location, die Choreografin Blanca Li kann die Energie sogar spüren und verkündet, dass sie sich sofort in den Ort verliebt hat.
Die Königin des Abends ist aber eine andere: Diamanda Galás. Ihre Stimme erfüllt die Transformatorenhalle bis in die letzte Ritze, die hohen Fenster wollen fast zerbersten. Sie hämmert Tonrepetitionen und Akkorde in die Basssaiten des Flügels, ihr Körper glitzert bleich und düster im Kegel der Spots. Sie erhebt ihre Stimme wie eine dauerverzerrte E-Gitarre, arbeitet sich nebenher sanft bis wütend und bösartig am Flügel ab, kräht, kichert, kickert, zelebriert eine Schreiorgie und klatscht die Zuhörer mit ihrem Stimmvolumen an die Wand. Sie kreischt wie ein wilder Papagei und verfällt danach in einen fast lyrisch-romantischen Singsang.
Einige gehen entsetzt, die Mehrheit feiert Galás mit lautstarkem Applaus. Die nimmt es hin, ohne eine Reaktion zu zeigen. Keine Ansage, kein Blick, keine Verbeugung lässt ahnen, dass sie ihr Publikum überhaupt wahrnimmt. Nach einer knappen Stunde hat sie ihr Programm „La Serpenta Canta“ durchgespielt und verlässt die Bühne. Das Klatschen und Pfeifen endet nicht eher, als Diamanda Galás zu einer Zugabe zu bewegen ist. Einer Verbeugung. Minimalkommunikation, aber diese Energie hat sicher nicht nur Blanca Li gespürt. SILKE LODE
Angel Orensanz, „Skulptur – Stadt – Strukturen“. Bis 17. Mai, Kultur im Spannwerk, Paul-Lincke-Ufer 20–22, Kreuzberg
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