In der Gestalttherapie

Fast wie zu Jack Lemmons und Walter Matthaus Zeiten. Der norwegische Film „Elling“ zieht seinen Humor aus der physischen Ungleichheit seiner psychisch kranken Helden

Was will man gegen zwei erwachsene Männer vorbringen, die gerade aus der Psychiatrie entlassen wurden und jetzt in einer vom Sozialamt finanzierten Wohnung das selbstständige Leben erlernen sollen? Und warum sollte man gegen einen Film wettern, der seine Protagonisten so anders sein lässt, wie sie nun mal sind, der ihnen sogar erlaubt, sich mit ihren Macken im Alltag einzurichten?

In Peter Näess’ Regiedebüt darf die Titelfigur, das verschrobene Muttersöhnchen Elling, nicht nur den ureigenen Blick auf Dinge und Menschen behalten, er findet sogar eine durchaus subversive Weise, seine Gedanken und Erkenntnisse zu verbreiten.

Je mehr man über diesen Film nachdenkt, desto sympathischer müsste er einem werden. Er macht sich über die Bewohner seiner eigenwilligen Wohngemeinschaft nicht lustig, sondern lacht mit ihnen. Wenn sie endlich selbstständig telefonieren können, werden zur Freude aller erst mal sämtliche 01 90-Nummern durchprobiert.

Nicht aus ihren ersten Gehversuchen in unser angeblich normales Leben zieht Peter Näess seinen Humor, sondern aus der Ungleichheit der beiden Freunde. Rein physisch erinnern das schmächtige Kerlchen Elling und der Kleiderschrank Kjell an Asterix und Obelix. Wenn der kleine Elling mit pinkfarbenen Gummihandschuhen für Ordnung im Haushalt sorgt und der große Kjell derweil gigantische Schlachterplatten verdrückt, zieht sogar ein Hauch von Jack Lemmons und Walter Matthaus Männerwirtschaft ein.

Natürlich hat der Film ein offenes Ohr und ein offenes Herz für alle Ängste und Neurosen. So begreift man, was es für das Sensibelchen Elling bedeutet, auf eigene Faust im Supermarkt einkaufen zu müssen. Natürlich haftet Kjells unendlicher Sehnsucht nach Sex nichts Befremdliches an.

Aber irgendwann nimmt das Verständnis des Films für seine beiden Kauze einfach überhand. Spätestens mit dem Erscheinen des bekannten Dichters, der seit dem Tod seiner Frau keine Zeile mehr geschrieben hat, fühlt man sich wie in einer künstlerischen Gestalttherapie. Dieser Mann weckt nicht nur Ellings Interesse für Poesie, nein, er entdeckt auch noch die ungeahnten handwerklichen Qualitäten von Kjell. Der darf sein altes Auto, einen Liebhaber-Oldtimer, wieder auf Vordermann bringen, und prompt unternimmt das Trio samt weiblichem Anhang einen quietschvergnügten Ausflug ins Grüne. Ohnehin scheinen sich alle Neurosen und Macken in Wohlgefallen aufzulösen oder zumindest gut lebbar zu sein.

Genau dieser penetrant menschelnde Ansatz von Peter Näess’ Film nimmt dem Umgang mit psychisch Kranken wieder die Selbstverständlichkeit – indem er aus ihnen sogar ganz besonders wertvolle Mitmenschen macht. Und dann gibt es da noch diesen Sozialtherapeuten mit seiner antiautoritären Masche, der sich über ein voll gekotztes Zimmer freut, weil das Trinken von Alkohol eben zu einer ordentlichen Resozialisierung dazugehört.

Irgendwann übernimmt der Film gänzlich die Laissez-faire-Haltung des Betreuers, und man spürt förmlich, wie locker und befreit er sich dabei findet. Wenn es Kjell zum ersten Mal tut, wird einem die Liberalität förmlich um die Ohren geschlagen. Der mächtige Kerl bittet seinen kleinen Freund um einen Unterhosentausch, weil seine schon seit Tagen keine Waschmaschine mehr gesehen hat. Echt cool.

ANKE LEWEKE

„Elling“. Regie: Peter Näess. Mit Per Christian Ellefsen, Sven Nordin, Per Christensen u. a. Norwegen 2001, 90 Minuten