: Die Künstlerliste
Okwui Enwezor, künstlerischer Leiter der documenta 11, gab jetzt die 118 Namen der Teilnehmer bekannt. Die Weltkunstausstellung der 100 Tage wird welthaltiger
Große Ereignisse haben einen genauen Zeitplan. Deshalb gibt es für die documenta den Tag, an dem die Künstlerliste bekannt gegeben wird. Das ist der Startschuss zum Event, dessen Timing für das Gelingen der Ausstellung enorm wichtig ist. 1992 hatte der damalige documenta-Leiter Jan Hoet den Bogen überspannt und im Vorfeld eine Mammutdiashow veranstaltet, an deren Ende sich keiner mehr so richtig für Kunst erwärmen konnte. Catherine David wollte vor fünf Jahren die Künstlerliste gar nicht erst öffentlich machen – prompt galt ihre documenta 10 als gescheitert, noch bevor der erste Nagel überhaupt in die Wände der Kasseler Ausstellungshallen geschlagen war. Offenbar hatte Okwui Enwezor dieses Mal eine glücklichere Hand: Einen Monat vor dem Start liegt er mit der Veröffentlichung seiner Künstlerliste gut im Rennen um Aufmerksamkeit und Medienquoten. Seit Dienstag läuft die Infomaschine, immerhin kann man nun 118 Namen Trends und Projekten zuordnen.
Obwohl Enwezor bereits seit letztem Jahr mit seinen Diskussionsplattformen durch die Welt tourt und über postkoloniale Politik, Globalisierung und urbane Entfremdung redet, steht und fällt dieses Programm mit den Künstlern und Künstlerinnen, die ab dem 8. Juni in Kassel zu sehen sein werden. Für die Theorie ist es gut, dass es Bücher gibt. Kunst aber will man sehen – zur documenta darf es gerne auch bunter als die Wirklichkeit und von allem ein bisschen mehr sein. Tatsächlich ist Enwezors Auswahl das Abbild einer Kuratorentour kreuz und quer über den Globus geworden. Liest man die Namen der beteiligten Künstler und Künstlerinnen, hat man das Gefühl, auf einem wild gemischten Markt unterwegs zu sein, der vor Ort in Kassel mindestens so chaotisch funktionieren dürfte wie der Straßenhandel in Lagos, rund um die Portobello Road oder in New Delhi. Selbst Kino gehört seit Catherine Davids Ausweitung der Formate fest zum Repertoire, diesmal sind aufwändige Filmproduktionen unter anderem von Isaac Julien oder Stan Douglas dabei.
Natürlich hatte man von dem in Nigeria geborenen Ausstellungsmacher auch erwartet, dass er seiner Herkunft entsprechend mehr afrikanische Kunst zeigen würde. Diesen Gefallen hat Enwezor Freunden ebenso wie Kritikern getan: Über ein Dutzend Mal tauchen Länder wie Benin, Elfenbeinküste oder Kongo in den Biografien auf. Da stört es nicht, dass ein großer Teil von ihnen über die Jahre schon im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen war – schließlich ist die documenta nicht bloß Talentschuppen, sondern auch ein Spiegel der über die Jahre entwickelten künstlerischen Position. Vielleicht nur hat sich Enwezor ein wenig zu sehr auf die Reife verlassen: Bald ein Drittel der Beteiligten ist um die sechzig, auf dem besten Weg ins Rentenalter. Zugleich irritiert es, plötzlich von einem lange vergessenen Künstler wie etwa Victor Gruppo aus Argentinien zu erfahren, der nun seinen Platz zwischen Altstars à la Louise Bourgeois, Jeff Wall oder Leon Golub finden soll, die wiederum in einer Reihe mit jungen Kollektivprojekten aus Indien und Italien stehen. Andererseits ist es erfreulich, dass aus der Schule von Bernd und Hilla Becher nicht die fotografischen Gelddruckmaschinen Andras Gursky oder Thomas Struth eingeladen wurden, sondern die eher still vor sich hin produzierende Candida Höfer.
Ärger wird es trotzdem geben: Von den Durchstartern auf dem Kunstmarkt der letzten Jahre hat Enwezor so ziemlich niemanden eingeladen, deutsche Popmonster wie Jonathan Meese, den skandinavischen Videokunstboom oder young british artists sucht man auf seiner Liste vergebens. Vielleicht wird stattdessen am Ende der documenta 11 die Kubanerin Tania Bruguera bei Kunstmessen hoch im Kurs stehen. Vielleicht auch nicht.
HARALD FRICKE
Die Namen: www.blitzreview.de und www.documenta.de
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