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Enten in alle Ewigkeit

■ „Fluxus und Freunde“: Das Neue Museum Weserburg stellt Bilder, Collagen, Objekte und Zeichnungen aus der Sammlung von Maria und Walter Schnepel vor – Kunst, die dem Fluxus zugerechnet wird und ohne Ende fließt

Die Lanze ist in Anschlag gebracht, es geht um Leben und Tod. Nicht mehr alle für einen, sondern jeder für sich. Ein choaotisches Schlachtfeld. Nur durch das silberne Kreuz auf der Brust ist klar, dass sie zusammengehören. Sie sind Ritter und sie kämpfen gegen überdimensionale Enten. Dabei steht ihnen die Schokolade bis zum Hals.

Jawoll, das ist Kunst. Arrangiert hat dieses Schlachtengemälde der Schweizer Dieter Roth. Materialien: ein Holzrahmen, kleine Plastik-Spielzeugfiguren, Schokolade. Auch ein paar Kleinst-Tierchen, die von selbst kamen und die Kunst zum Fressen gerne hatten. Irgendwer hat das Werk dann irgendwie doch konserviert. Und ins Neue Museum Weserburg gebracht.

Womit ein zentraler Fluxus-Aspekt benannt ist: Die Flüchtigkeit. Fluxus ist keine Kunst, die die Ewigkeit sucht. Alles, was mit Bewahren zu tun hat, ist den Fluxus-Künstlern fremd. Denn „Fluxus“ heißt fließen. Fließende Übergänge, wie sie zum Beispiel die Natur in Petto hat: Man nehme zwei Glasscheiben und einen Holzrahmen, baue damit eine Art Aquarium und fülle Johannisbeeren rein. Das Kunstwerk verändert sich mit der Zeit. Garantiert.

Es erinnert ein bisschen an den Nudeltopf in der WG-Küche, den niemand benutzt haben will und der nach drei Wochen zur Putzplan-Krisensitzung führt. Damals gab es auch die Idee, die WG durch eine Klebeband-Versiegelung vor dem Topfinhalt zu schützen und ansonsten die Natur machen zu lassen. An Kunst wurde dabei weniger gedacht, eher an Coolness.

An was die Fluxus-Künstler so den ganzen Tag dachten ist nicht so leicht auf einen Nenner zu bringen. Klar ist, woran sie sehr absichtlich nicht denken wollten: Sie wollten nicht denken ans Museum, an die Kritiker, an den Kunstbetrieb. Es sollte eine Einheit entstehen zwischen Kunst und Leben, es sollte einfach herzustellen sein und es sollte was passieren. Fluxus als kreative, antibürgerliche und charmant verspielte Lebenshaltung. Und Kunst als Happening: In der Weserburg sind Fotos zu sehen von der einen oder anderen schrägen Fluxus-Aktion.

Von Allan Kaprows „Autoreifenturm“ gibt es sogar ein kleines Modell. Kaprow hatte 1979 einen rund 15 Meter hohen Draht-Zylinder mit Autoreifen verkleidet, ein weithin sichtbares Monument, das von unbekannten Vandalen eines Nachts abgefackelt wurde. „Eigentlich gehörte das Anzünden fast schon dazu“, so Weserburg Direktor Thomas Deecke. „So ein Kunst-Werk darf nicht alt werden.“

Was bei Fluxus auch fließt, das sind die Grenzen zwischen den Disziplinen, zum Beispiel die Grenzen zwischen bildender Kunst und Musik: Roths „BAR (No.1)“, die nach Schrottplatz-Collage aussieht und auf Befehl „Muss i denn zum Städele hinaus“ immer wieder zeitversetzt abspielt, so dass ein kakophonisches Klanggewitter durchs Museum zieht. Oder die „Sanduhrpartitur“ von Giuseppe Chiari, eine sehr sparsame Collage mit den Ratschlägen: „Legen Sie die Sanduhr an Ihr Ohr und hören Sie die Zeit“ und „Spielen Sie in der Straßenbahn Geige“.

Den Arbeiten mit Musik-Bezug widmet die Ausstellung einen Raum, ebenso wie den thematischen Schwerpunkten „Spiel und Poesie“, „Essen und Trinken“, „Medien und Politik“, „Literatur“ und „Happening“. Dem 1998 verstorbenen Künstler Dieter Roth ist darüberhinaus ein eigener Raum gewidmet.

„Wir haben versucht, auf alle Aspekte des Fluxus-Denkens anzuspielen“, meint Deecke. Was dabei herauskommt ist ein buntes Sammelsurium von Werken, ein Brainstorming eher, als eine strukturierte Ausstellung. Das wäre wohl auch schwer möglich: Die Liste der ausgestellten Künstler geht von Joseph Beuys über Marcel Duchamp bis Richard Hamilton, von George Brecht über Daniel Spoerri bis André Thomkins – sie alle sollen unter einen Hut gehen mit dem Namen „Fluxus“, ein Hut, der leicht platzen kann – und dann kommen lauter weiße Kaninchen raus oder Klebeband-versiegelte WG-Töpfe oder todernste Provokateure, die raunen: „Jeder ist ein Künstler.“

Klaus Irler

Die Eröffnung ist am 5.Mai um 11.30 Uhr. Öffnungszeiten: Di bis Fr. von 10 bis 18 Uhr, Sa bis So von 11 bis 18 Uhr.

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