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Das Leiden der Dinge

„Tony war ein Küchenmesser, er wollte niemand weh tun. Doch er musste schneiden, bis er daran zerbrach“: Heute verwandeln die Laptop-Musiker DAT Politics den Bastard in eine Rappelkiste, in der sich fremde Ameisen tummeln

Was ist das Gegenteil von erhaben? Niedlich vielleicht? Profan? Oder respektlos? Vielleicht eine Mischung aus allem. Nicht niedlich genug, um brav zu sein, nicht profan genug, um ordinär zu sein, nicht ausreichend respektlos, um so richtig gefährlich zu werden, ist jedenfalls eine seltsame Band aus Frankreich, aus Lille, die sich DAT Politics nennt.

Gleich beim ersten ihrer Stücke auf der soeben bei Chicksonspeed Records erschienen Platte „Plugs Plus“ hat man Lust, laut loszulachen. Irgendwas schabt da, als ob man auf einer leeren Zwirnrolle ausrutscht, dann knarrt etwas – hat da jemand das Wiehern eines Pferdes eingeflickt? Oder ist da einfach nur ein Computer kaputtgegangen, sein Herz aus Plastik mit einem lauten Knall zerbrochen? Es knirscht und poltert wie in der Rappelkiste, wie in der Tonne, aber trotzdem so beschwingt, dass man super drauf tanzen kann. Wie kommt eine Band aus Lille dazu, wie eine dieser Konzeptbands aus der Mitte Berlins zu klingen, wie Jeans Team oder Jim Avignon, nur noch wilder? Oder auch wie Mouse on Mars aus Köln? Alle Ingredienzien stimmen: Sogar die unverzichtbare Melodika kommt vor, die Anarchie im Kinderzimmer.

Wer mal eine Komödie über Ameisen drehen wollte, der könnte DAT Politics prima als Soundtrack benutzen. Fröhlich wie die Fraggles hüpft ein Rhythmus durch den Raum. Irgendwie kommt bei dieser seltsamen Musik immer das Gefühl, als ob sich da irgendetwas unterhält, kommuniziert und Spaß miteinander hat, zu dem man nie einen Zugang finden wird. Eben wie eine fremde Tiergemeinschaft, auf die wir zwar unsere Idee vom friedlichen Zusammenleben projizieren, das wir aber eigentlich nicht verstehen.

Auf dem Plattencover sieht man ein Abtropfgestell mit Geschirr, einen Müllbeutel, ein paar hässliche Grünpflanzen, wie man sie sich in die Küche stellt, einen weißen Kasten, der ein Kühlschrank sein könnte. An manchen Stellen klingt es auf der Platte von DAT Politics, als würde jemand auf solche Gegenstände klopfen – auf profane Dinge des Alltags. Das funktioniert wie eine Parodie auf die komische Angewohnheit vieler „avantgardistischer“ Bands, mit einem Todernst und gefährlicher Miene auf Industriemüll herumzuklöppeln, als gelte es, dem Publikum eins auszuwischen – man denke nur an die Einstürzenden Neubauten. Da gehen DAT Politics vorsichtiger vor, vermittelter und liebevoller.

Wahrscheinlich kennen auch sie diesen bösen Alptraum, dass wir im Himmel aufwachen und dort mit den Sachen konfrontiert werden, die wir zu einer ungewollten Identität gezwungen haben. Sie fordern Fairness oder üben Rache, all die Zinnsoldaten, die lieber Pazifisten sein wollten, aufziehbares Blechspielzeug, das lieber phlegmatisch gewesen wäre, oder wie Funny van Dannen es einmal sagte: „Tony war ein Küchenmesser, er wollte niemand weh tun. Doch er musste schneiden, bis er daran zerbrach. Helga war ein Telefon, sie fand Gespräche eklig. Könnt ihr ahnen wie sie litt, wenn jemand lange sprach?“

Man sagt, dass DAT Politics nicht nur gerne kochen, sondern dass sie live über ihren Laptops gerne Headbanging machen, rauchen und trinken. Das wird sicher witzig. SUSANNE MESSMER

Heute, um 22 Uhr, Bastard im Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg

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