: Mit sechzehn hört die Kindheit auf
Deutschland schiebt Jugendliche früher ab, als UN-Kinderrechtskonvention erlaubt. Bundestag kritisiert Schily
BERLIN taz ■ Alles eine Frage der Perspektive. Aus der Sicht der Bundesregierung tut Deutschland alles, um seinen Knirpsen eine gelungene Kindheit zu ermöglichen. Da wird die Regierung beim Weltkindergipfel in New York ab nächste Woche sicher glänzen. Aus der Sicht eines 16-jährigen Flüchtlingskindes ohne Verwandte könnte das schon anders aussehen. Mit sechzehn hört für Flüchtlinge die Kindheit in Deutschland nämlich schlagartig auf. Mit sechzehn gelten sie als „handlungsfähig“. Und das heißt: als reif für ein Asylverfahren. Sie durchlaufen es ohne Betreuung. Und besteht die Gefahr, dass sie untertauchen, landen sie im Abschiebeknast, wie Erwachsene.
Kinder sind Kinder, bis sie achtzehn Jahre alt sind. In Österreich, in Frankreich, in Großbritannien kommt eine Abschiebung deshalb auch erst ab diesem Alter in Frage.
Eine Frage der Perspektive ist auch, ob das deutsche Verfahren eigentlich der internationalen Kinderrechtskonvention entspricht. Nein – das ist die eindeutige Antwort eines Rechtsgutachtens, das Terre des Hommes gestern veröffentlichte.
Selbst wenn die Abschiebung gelegentlich ausgesetzt wird, haben die Kinder nichts davon. Dies gilt etwa für Jugendliche, die von Schlepperbanden hier als „Klaukinder“ eingesetzt werden. Können sie als Zeugen gegen die Bande auftreten, dann dürfen sie zwar eine Weile in Deutschland bleiben. Doch dem „Kindeswohl“ dient man nicht, wenn man einem Jugendlichen genau so lange Schutz gewährt, bis das Verfahren eingestellt oder abgeschlossen ist, und ihn am nächsten Tag abschiebt, schreibt der Bremer Jurist Erich Peter in dem Gutachten.
Die Regierung dagegen hat schon bei der Ratifizierung der Konvention einen „Ausländervorbehalt“ formuliert: Die Vereinbarung dürfe nicht so ausgelegt werden, dass der widerrechtliche Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland erlaubt sei. Auch dürften Ausländer sehr wohl anders als Einheimische behandelt werden, so ein weiterer Vorbehalt, den das Gutachten schlicht „Diskriminierungsvorbehalt“ nennt.
Der Sinn einer Konvention ist eigentlich, dass nationale Regierungen ihre Gesetze an sie anpassen. Die Bundesregierung wurde daher von der UNO gerügt. Die deutsche Antwort: Die Länder müssten andere „schutzwürdige Belange“ als vorrangig gegenüber dem Kindeswohl betrachten dürfen. Das sei in Deutschland nun mal das Ausländerrecht. Alles eine Frage der Perspektive.
Der deutsche Bundestag hat die Regierung bereits zweimal aufgefordert, die Vorbehalte zurückzunehmen. Geschehen ist nichts. HEIDE OESTREICH
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