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Eine neue Liga wie ein neues Leben

Nach der letzten Niederlage des FC St. Pauli in der Bundesliga gab es am Sonnabend nur noch vereinzelt enttäuschte Gesichter zu sehen. Ist der Verein in der zweiten Liga nicht besser aufgehoben? Zwei Fachleute debattieren exklusiv in der taz hamburg

Der Abstieg kann eine heilsame Wirkung haben. Sie spiegelt sich in den zwei Gesichtern des FC St. Pauli wider. Denn bei den Amateuren erlebe ich nichts von dem, was sich bei den Spielen in der 1. Liga offenbar zwanghaft austobt: Liegt St. Pauli zurück, werden Schiedsrichter angebrüllt, fliegen Bierbecher durch die Luft. Wut entlädt sich gegen eigene Spieler, die Fehler machen, und gegnerische sind Hassobjekte. Wer gute Spielzüge des anderen Teams beklatscht, wird bepöbelt. Die Derbheit steigert sich ins Unerträgliche, wenn es eine Frau wagt. Warum dieses Beinahe-Stammesritual als Party bezeichnet wird, weiß ich nicht.

Bei den Amateuren ist man nicht „außer sich“, sondern noch bei sich. Weil man nicht oben ist. Unten wird der Erfolg weniger wichtig genommen und die Identifikation mit dem Siegen-Müssen ist nicht so ausgeprägt.

Pro: Abstieg ist heilsam

Irgendwo zwischen Heide und ETV, vielleicht auch zwischen Fürth und Burghausen, darf Fußball gespielt werden, ohne dass die Persönlichkeit an den Sieg des Vereins abgegeben wird.

Die 1. Liga geht nur mit viel Geld und so begannen Fans, „ihren“ Präsidenten als „Papa Heinz“ zu verehren. Warum? Weil er Geld hatte. St. Pauli verkörperte einmal mehr, dass die, die unten sind, diesen Zustand selbstbewusst annehmen können. Die Rufe „nie mehr 2. Liga“ kündigten an, dass man nicht mehr dazu gehören wollte. Man befand sich im Vorzeigeprojekt, das wöchentlich den Leistungs- und Erfolgskult als Massenritual aufführt, bei dem der Erfolg aus Härte eine „gesunde“ macht, und die Niederlage Spielwitz in „brotlose Kunst“ verwandelt.

Alles das gibt es auch unten. Vieles von dem ist bei anderen Vereinen schlimmer, aber die Frage war nun mal, warum der Abstieg in Ordnung geht.

Wunder gibt es nicht immer wieder, und so spielt der FC St. Pauli mal wieder da, wo er nach den gezeigten Leistungen fußballerisch hingehört.

Schade, aber wahr, denn ich werde sie vermissen, die 1. Liga. Es hat Spaß gemacht! Die Hoffnung die Großen zu ärgern, endlich wieder Underdog sein. Die vielen glücklichen Gesichter zur Halbzeit gegen Bayern werde ich nie vergessen. Diese Halbzeit nimmt uns niemand. Mit dem Schlusspfiff, war es geschafft – Weltpokalsiegerbesieger! Ein Sieg für die ewige Fan-Glückseligkeit. Kein Spiel gegen irgendwen aus der 2. Liga kann einem das geben. Allein deswegen hatte sich der Aufstieg gelohnt.

Contra: Kein Derby mehr

Das Ganze hätte nur noch durch einen Sieg im Derby übertroffen werden können. Dies wurde zweimal grausam vergurkt und wir sind „die Deppen beim samstäglichen Brötchenholen“. Wenn es überhaupt eines Grundes bedürfte in der ersten Liga zu sein, dann der, mal wieder ein Derby zu gewinnen.

Doch auf diese Chance werden wir mindestens ein Jahr warten müssen. Stattdessen stehen einem Busreisen quer durch die Nation bevor. Kaum Zuschauer, kaum Stimmung, der Auswärtsblock ist in opernglasverdächtiger Entfernung zum Spielfeld, oder man steht auf Grasnarbenniveau. Der Horror, wenn das Ganze an einem Montag stattfindet. Als Nebenwirkung schmilzt einem das Resturlaubspolster dahin, wie die Butter in der Sonne. Alles für ein wenig Quote und eine Hand voll Euro. Überhaupt, das Fernsehen. Es hatte schon was, den Club in voller Länge über den Bildschirm toben zu sehen. So bleiben in der 2. Liga meist nur 10 Minuten im DSF oder ein Uwe Bahn auf N3 zum Wochenendausklang. Spätestens dann weiß man, wie schön die 1. Liga war.

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