: Und beten hilft doch
Borussia Dortmund macht seine Anhänger grauhaarig, aber glücklich
Der aufdringliche Zweitligist Wolfgang Niedecken hat in einem Lied, das er seinem toten Vater hinterherbapte, behauptet, das Beten als solches hülfe nicht. So ist das: Wenn man außer kölsch nichts gelernt hat, dann weiß man eben auch nicht, dass in allen Liebesdingen außer Beten manchmal nichts mehr hilft. Nervös wie ein Spinnewipp hühnerte halb Dortmund am Samstagmittag durch sich selbst. Die Gesichtsausdrücke zeigten Skepsis bis hin zur nackten Angst. Die „Blattschuss“- und „Jäger“-Rhetorik des Dortmunder Managers Michael Meier war an fast allen Anhängern Borussia Dortmunds abgeperlt. Große Klappe ist nicht Stil des Hauses, seitdem der Trinkerheiland Udo Lattek sein Wollen und Wirken in Dortmund zugunsten Kundigerer drangab. Der Typus des chronisch das Erfolgsgebiss fletschenden so genannten „Siegers“ ist hier eher wenig verbreitet.
Auf der Pressetribüne traf man ihn allerdings in Gestalt von Marcel Reif, der mit Hilfe seines grob unhöflichen Teams alle anderen auf billigere Ränge schicken wollte, um nach Gutsherrenart platzhirschen zu können. Rasch enteilte ich der krösigen Aura von Marcel Wichtig.
Auf dem Rasen wurde Jürgen Kohler verabschiedet. „Jürgen Kohler Fußballgott!“, riefen die Fans, Kohler weinte vor Rührung. Es war überhaupt nicht peinlich. Ich sah ihn, wie er in Manchester den großartigen Cantona entmutigte, und dankte ihm im Stillen. Später war zu sehen, wie der weinende Kohler von einem „ran“-Mann gefragt wurde, was er in diesem Moment gefühlt habe. So viel Intelligenz ist bei „ran“ Einstellungsbedingung.
Der Spielbeginn rückte näher, die Rituale wurden vollzogen. Buddha-rundliche Herren rieben ernst und konzentriert ihre Glücksbäuche. Andere zogen kubanischen Tabak aus ihren Jackentaschen hervor, um im Moment des Anpfiffs die Glut der Hoffnung zu entfachen und gutes Rauchkraut flatternervig zu verbrennen, als Opfergabe. Auf dem Spielfeld betete Dede. Ich verstand ihn gut und hatte auch sonst viel Freude an ihm: Er spielte eine astreine Partie.
Bald kam, was in Dortmund fast immer kommt: der Schock. Amoroso traf die Latte, kurz darauf schlief die Dortmunder Abwehr, Werder Bremen führte Einsnull, und Ailton hatte das Zweinull auf dem Fuß, machte aber nur eine Art Rückgabe auf Lehmann. Ich habe nicht wenige graue Haare, und alle habe ich sie aus Dortmund. Herzrhythmusstörungen sind ebenfalls der aufreibenden Hingabe an diesen Verein geschuldet. Aber wer glücklich ist, dem ist Undankbarkeit fern, und Kollers Ausgleichstor war reines lavaheißes Glück.
Wie Milch lag der Nebel über dem Westfalenstadion. Es war kalt und nass, fiesfingrig kroch Unglaube den Rücken hoch. Als Addo den Pfosten und später der Bremer Tjikuzu die Latte traf, war ich der guten alten Ohnmacht ziemlich nahe. Dortmund besorgte es seinen Anhängern mal wieder gründlich. Und ich sah unter Extrembedingungen zu: Im linken Ohr stak der Kopfhörerknopf des extra angeschafften Transistorradios. Die gellende Stimme Sabine Töpperwiens gab mir beinahe den Rest.
Ich schickte einen Stoßseufzier Richtung Rasen: „Tut nichts, was ich nicht auch tun würde.“ Und dann kam es, das Manna der Erlösung. Der für den schwachen Heinrich eingewechselte Ewerthon bekam den Ball von Dede aufgelegt und traf. Die verbleibenden 15 Minuten wurden mit vegetativem Zittern herumgebracht. Der einsetzende Jubel wirbelwindete um mich herum, aber ich war ausgepumpt und leer. Mit Dortmund gewinnen ist schön und irgendwie auch komisch. Gewinnen muss schon mal sein, und sei es, um unangenehme Münchner Balltreter und Anhänger in den für sie so seltenen und von ihnen so verabscheuten Zustand des Leiseseins zu entlassen. Aber Sieger möchte ich nicht sein noch sehen.
In einer nahe gelegenen Gastwirtschaft tauchte ich ein in Freudenlärm und Dunst. Das Spiel wurde in der Fernsehwiederholung noch einmal genauso bejubelt wie zuvor im Stadion. Es herrschte das Glück der Regression und Redundanz. Die Information, dass der antroposophelnde Polizeiminister Schily das Spiel auf dem Platz neben dem Dortmunder Vereinspräsidenten gesehen hatte, wollte sich nicht in den Rang des Bedeutsamen vorarbeiten. Fußball ist, wie Kochen und Singen, Liebe und Religion. Die so genannte Wirklichkeit hat dagegen keine Schnitte, und so soll es sein. WIGLAF DROSTE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen