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Full Metal Jacket

(1987)

Gewaltbilder im Kino verbinden Schock, Überraschung, Tempo. Wir identifizieren uns mit dem Kamerablick, mit der rauschhaften Beherrschung des Raums. Der Effekt entsteht aus der Spannung zwischen dem Omnipotenzgefühl, das uns die rasende Kamera verspricht, und den Bildern blutender, zerstückelter Körper. Das ist das Grundprinzip. Man findet es bei Sam Peckinpah, bei Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“, bei Wes Cravens „Scream“.

Diese Filme machen Angstlust. Man bekommt feuchte Hände, der Puls pocht – so ist es beim ersten Mal, danach gewöhnen wir uns schnell an die Thrills. Deshalb ist der Horrorfilm notorisch in der Krise: Er hat es mit einem kundigen Publikum zu tun, das die Bilder anschaut wie ein Punktrichter eine Eistänzerin.

Vielleicht ist die furchtbarste Gewaltszene, die ich je gesehen habe, deshalb fast statisch, ohne jenen Bilderrausch, dessen Rhetorik man durchschaut. Es ist die Hinrichtung in Kubricks Kriegsfilm „Full Metal Jacket“. Joker, ein GI, erschießt die vietnamesische Scharfschützin, die zuvor in einem grässlichen Gemetzel seine Kameraden nacheinander getötet hatte. Sie liegt in einer Blutlache auf dem Boden. Die GIs stehen in einem Kreis um die Sterbende, so wie man sich an einem Grab aufstellen würde. Sie haben den Feind, der schockierenderweise eine Frau ist, besiegt. Dafür wurden sie gedrillt, es ist der Sinn ihrer Existenz. Doch sie haben keine Worte für ihren Sieg und auch nicht für das Gefühl, wie gleichgültig ihnen alles geworden ist. Dann gibt Joker ihr den „Gnadenschuss“. Es ist der einzige tödliche Schuss, den er in dem Film abgibt. Damit ist seine „Geburt“ als Soldat besiegelt. Es ist eine Szene ohne Moral, ohne Ironie, die Distanz ermöglichen würde, ohne Tragik, in der das mögliche Gelingen als Idee ja noch vorhanden wäre. Ein Bild ohne Trost. STEFAN REINECKE

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