piwik no script img

beerdigung gemacht von KARL WEGMANN

Lambchop gesehen – nicht gelacht. Überhaupt nicht gelacht, obwohl Kurt Wagner zwischen den Songs schlechte Witze erzählen lässt und auch selbst ein paar Faxen auf seinem Melkschemel macht. Wir sitzen alle. Das erste Mal, dass wir bei einem Konzert in der „Fabrik“ nicht stehen, aber angesichts der filigranen Klanggebilde von Lambchop scheint uns das angemessen. Es nervt ein bisschen, denn vor uns bauen sich immer wieder ein paar unhöfliche Menschen auf und versperren uns die Sicht. Einer ist besonders penetrant, nach der dritten Aufforderung zu verschwinden, dreht er sich um und schreit: „ Ihr blöden CDU-Wichser.“ Angesichts dieser niedlichen Beleidigung bricht unser ganzer Block in brüllendes Gelächter aus. Selbst Kurt Wagner hinten auf der Bühne ist leicht irritiert, und der Super-Pauli-Proll vor uns wird richtig verlegen, klammert sich an sein Bierglas und verschwindet kommentarlos. Na also, doch einmal gelacht.

Nach dem Konzert kaufen wir schnell noch alle die Tour-CD, die „Pet Sounds Sucks“ heißt, was uns aber auch nicht aufmuntert. Dann stehen wir unschlüssig draußen herum. Es regnet nicht. Ein Zeichen? Willy meint: „Tolles Konzert!“ Wir nicken. „Obwohl“, macht Willy weiter, „wir sind vielleicht zu sehr mit dem Kopf da rangegangen“. Konscho beginnt „Am I Too Blue for You“ von Lucinda Williams zu pfeifen, was uns kurz schmunzeln lässt. Bernd sagt: „Fisch ist gut gegen Depressionen.“ – „Wie das?“, frage ich. „Naja“, sagt er, „Fisch muss schwimmen.“ Wir verstehen. Also auf zum Portugiesen.

Der Kellner sieht uns an und fragt: „Beerdigung gemacht?“ – „So könnte man es auch ausdrücken“, erwidert Willy. Wir lassen Fischplatten auffahren und riesige Tonkrüge mit eiskaltem Vinho Verde. Der passt zwar nicht ganz zur Jahreszeit, aber egal, da müssen wir jetzt durch. Es dauert nicht lange, und der Fisch schwimmt. „Dieser norwegische Sänger vor Lambchop war gar nicht so schlecht“, bemerkt Willy. „Überhaupt die Skandinavier“, meint Bernd daraufhin, „die sind kulturell schwer im Kommen.“ Die nächste Stunde gehört Ingvar Ambjörnsen, Matti Y. Joensuu und Konsorten – und natürlich dem Vinho Verde.

Ich erzähle gerade von der Schwedin Helene Tursten und ihrem neuen Roman, als der Kellner wieder auftaucht und lächelnd sagt: „Ist Schluss jetzt. Oder ihr wollt noch mehr Beerdigungen machen?“ – „Das wär’ doch mal ein krönender Abschluss“, meint Willy. Wieder draußen. Jetzt regnet es heftig. Wir nehmen ein Taxi.

Zu Hause hält uns Willy eine Flasche Spätburgunder und eine Flasche Bushmills vor die Nasen. Wir zeigen alle auf den Whiskey. Dann geht’s um den aktuellen Wilco-Rummel. „Ich meine“, ereifert sich Bernd, „Süddeutsche, Brigitte, TV-Today, Spiegel undundund, überall die volle Punktzahl, überall Jubelkritiken, da kann doch irgendwas nicht stimmen, da ist doch was total schief gelaufen!“ Das gibt uns zu denken. Wir nutzen den Bushmills als Neurotransmitter. Später schiebt Willy dann Lambchops Tour-CD ein und wir versinken in dieser schwerelosen Schwermut.

Nicht gelacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen