piwik no script img

Verhör als letzte Schlacht

Erneuter Schlagabtausch zwischen Milošević und Rugova vor UN-Tribunal in Den Haag: Jugoslawiens Expräsident wirft dem Kosovo-Führer vor, die Massenflucht der Albaner selbst inszeniert zu haben

aus Den Haag HENK RAIJER

„Anderthalb Stunden, Mister May, reichen nicht aus, um Dr. Rugova eine Reihe für mich äußerst wichtiger Fragen stellen zu können.“ Slobodan Milošević, vor dem UN-Tribunal in Den Haag angeklagter Expräsident von Jugoslawien, war mit der Zeit nicht zufrieden, die er von dem Vorsitzenden Richter Richard May gestern noch einmal für die abschließende Befragung des kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova zugestanden bekommen hatte.

Auch am zweiten und letzten Tag der kreuzverhörähnlich geführten Befragung war Milošević mit seinem einstigen Rivalen noch nicht fertig. Das wurde im Auditorium des Haager UN-Tribunals jedem nach wenigen Minuten klar. „Als Sie mich zur Zeit der Nato-Aggression im April 1999 baten, Sie nach Mazedonien ausreisen zu lassen, Dr. Rugova, haben Sie da nicht aus Angst vor der UÇK das Kosovo verlassen wollen?“, fragte Milošević. Wenn doch die UÇK (Kosovo-Befreiungsarmee; d. Red.) keine Terrorgruppe gewesen sei, wovor habe Rugova denn dann fliehen wollen? „Ich wollte raus, weil das Kosovo durch das serbische Vorgehen menschenleer war und ich nicht Gefahr laufen wollte, vom Regime ermordet zu werden“, erwiderte der kosovarische Präsident, der auch am zweiten Tag seiner Aussage Milošević kein einziges Mal ins Gesicht blickte. „Sehen Sie mir in die Augen, Dr. Rugova, und geben Sie zu, dass die UÇK Ihnen nach dem Leben trachtete“, herrschte Milošević ihn an und erklärte dem Gericht, er habe Rugova damals „zu seinem eigenen Schutz nach Italien ziehen lassen, weil dort Recht und Gesetz herrschten“.

Immer wieder versuchte Milošević, den Zeugen in die Enge zu treiben, indem er ihn nach Mordanschlägen befragte, die nachweislich nicht von Serben verübt worden sein konnten, sondern Folge innerkosovarischer Auseinandersetzungen waren.

Einen Großteil der verbleibenden Zeit seines Kreuzverhörs widmete der Exdiktator auch der Entscheidung Belgrads zur Aufhebung des Autonomiestatus des Kosovo im Jahre 1989, bei der die Provinz alle politischen Kompetenzen an Belgrad verlor. Für ihn, Milošević, seien die „emergency measures“ das einzige Mittel gewesen, um politisches Chaos in der Provinz zu verhindern. „Meinen Sie nicht auch, Dr. Rugova, dass sich die Kosovo-Albaner mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit von einer Art romantischen Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert haben leiten lassen?“, fragte Milošević, worauf ihm Richter May wieder einmal das Mikrofon abschaltete. „Halten Sie keine Reden, Mr. Milošević, stellen Sie Fragen.“

Am Ende der Anhörung präsentierte Milošević dem Gericht ein Dokument, welches als Beweis dienen sollte, dass nicht Belgrad die Kosovo-Albaner vertrieben habe, sondern die UÇK, und der kosovarische Präsident die Bevölkerung aufgefordert hätte, zu fliehen. „Dieses Pamphlet zirkulierte damals im Kosovo“, ließ sich Rugova allerdings nicht aus der Ruhe bringen. „Aber ich habe so etwas nie unterschrieben, das ist eine Fälschung.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen