: Rote Karte für Karin Röpke
■ Bremen protestet: 600 DemonstrantInnen forderten ein „Recht auf unbehinderte Verständigung“ Die ist gar nicht so einfach. Das erfuhr die Sozialsenatorin im Behinderten-Parlament
„Auch wenn ich nicht zählen kann, zähle ich mit“, war gestern die Parole – immerhin war 10. Bremer Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen.
Fast 600 TeilnehmerInnen gingen, humpelten oder rollten zur Demonstration auf die Straße: zu Fuß, im Rollstuhl, sehbehindert, gehörlos oder lernschwach. Die Forderung: „Gleichstellung jetzt!“ Also der totale Abbau von Barrieren. Und das sind nicht nur die Treppenstufen, die manche nicht mit dem Rollstuhl bezwingen können.
Barrieren sind auch Geldautomaten, die Blinde nicht bedienen können, fehlende Gebärdendolmetscher, ohne die Gehörlose auf keinem Amt durchkommen. Aber auch Behördenbescheide, die so kompliziert sind, dass man den Sinn einfach nicht begreifen kann. Entsprechend forderten die DemonstrantInnen in diesem Jahr das „Recht auf unbehinderte Verständigung“.
Pünktlich um zwölf startete der Zug mit einer Samba-Gruppe an der Friedenskirche aus und bewegte sich von der Humboldtstraße aus quer durchs Viertel. Vor dem Theater am Goethe-Platz empfing sie das Till-Aßmann-Terzett von den Blaumeiers mit „New York, New York“ zur großen Kundgebung.
Wie oft Menschen mit komplizierter Sprache Barrieren bauen, erfuhr Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) nachmittags in der Sitzung des Behinderten-Parlaments: Auf den Tischen der Abgeordneten – die nicht gewählt, sondern einfach ins Parlament hineingeströmt waren – lagen rote Stopp-Schilder. Drauf stand: „Halt! Bitte leichte Sprache“. Damit konnten die Anwesenden die Redebeiträge jederzeit unterbrechen: Immer dann, wenn die RednerInnen ein unverständliches Wort benutzten. Erst wenn alles erklärt war, durften sie weiter reden. Dieses Schicksal ereilte Röpke, die auch Schirmfrau des Protesttages war, mindestens drei Mal. Für die Wörter „Struktur“, „konstruktiv“ oder „integrieren“ fielen ihr dann sogar verständliche Erklärungen ein. Warum solche Begriffe nicht gleich weglassen? Schließlich war angekündigt, dass die Sitzung in leichter Sprache stattfinden sollte.
Die Parlamentspräsidentin des Tages, Swantje Köbsell von „Selbstbestimmt leben“, machte Röpke vor, wie es geht mit der leichten Sprache: Kurze Sätze, möglichst wenig Fremdwörter, viele Verben benutzen – „Tu-Wörter“, sagt Köbsell. Und wenn mal die verständliche Erklärung für einen Fachbegriff fehlt, schlägt die Ein-Tages-Präsidentin im „Wörterbuch für leichte Sprache“ nach.
Das Behinderten-Parlament forderte einen hauptamtlichen Landesbehindertenbeauftragten, Gebärdensprache als Unterrichtsfach, den barrierefreien Zugang zu Bussen und Bahnen, ins Internet und zu Behörden.
Diese Forderungen sollen im Bremischen Gleichstellungsgesetz verankert werden. Denn seit dem ersten Mai gibt es zwar ein Bundesgleichstellungsgesetz für behinderte Menschen, aber noch keins für das Land Bremen. Bei der Entwicklung wollen die Behindertenverbände natürlich mitreden, denn: „Auch wenn ich nicht sprechen kann, habe ich viel zu sagen.“ Ulrike Bendrat
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