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Coolness aus der Werbeagentur

An den Produktionskosten sparen, am Narzissmus nicht: Zwölf Kurzfilme bilden die Kompilation „99euro-films“

Eines sind die Regisseure sicher nicht: Hoffnungen des jungen deutschen Films

Der Kompilationsfilm ist nicht nur ein anderes Wort für Kurzfilmprogramm, sondern tritt meistens mit einer Sinn stiftenden Behauptung auf, die sich mit Generationalität, Positionierung oder Gruppenzugehörigkeit begründet. In Deutschland kann es immer auch der Wunsch sein, ein verbindliches Abbild der Lage des jüngeren Films zu liefern. Dies war wohl auch der Anlass für das Filmfestival Oldenburg, die Produktion „99euro-films“ als Verbund von zwölf Beiträgen zu lancieren.

Der Idee folgte ein modernistisches Manifest: MiniDV, ein paar Minuten Zeit, 99 Euro, „just do it and be independent“. Eine nicht ganz einfache Vorgabe, dürfte es doch selbst mit MiniDV schwierig sein, einen Kurzfilm mit 99 Euro zu drehen, der nicht nur von totaler Selbstausbeutung handelt, sondern auch noch „wild, neu, modern, witzig, politisch und unterhaltsam“ ist. Der Geldbetrag scheint denn auch eher ideologisch auf die Kraft der Sparsamkeit zu verweisen und mit dem kritischen Potenzial eines Ökonomismus zu liebäugeln, der im Kunstbereich längst völlig ausgeleiert ist und hier völlig auf den Hund kommt.

Denn in Wirklichkeit verschaffen sich in „99euro-films“ vor allem die sehr spezifischen Formen von Coolness Geltung, die die Werbeagentur, die Film-, Kunst- oder Schauspielschule hervorbringen. Deren Narzissmus, Overdressedheit, billige Ironie und Überdeutlichkeit sind hier so unkontrolliert und schamlos, dass es nicht nur nervt, sondern wirklich wehtut. Der Mangel wird durch Drastik und Härte kompensiert, also durch das, wofür der deutsche Langfilm ja schon nicht berühmt und der Kurzfilm eigentlich nicht geeignet ist. Hier also gilt der Tod noch was: Es gibt Selbstmorde aus altersbedingter sexueller Frustation („Lorelei S.“ von Miriam Dehne), wegen Verlassenwordensein durch die Freundin („Privat“ von Mark Schlichter), als Mittel im Kampf gegen das Hollywoodkino („Die Selbsttötung der Sara W.“ von Matthias Glasner). Und es gibt einen Auftragsmord, für den eine Frau 99 Euro hinblättert („So billig“ von Daniel Petersen), der aber durch eine in diesem Rahmen keineswegs überraschende Jungssolidarität ausgehebelt wird. Ein gewisses Aggressionspotenzial lässt sich auch, trotz Lakonie, in Sebastian Beers „(tm)“ oder in „Ein Mann boxt sich durch“ von Michael Klier erkennen. Es gibt aber auch Beiträge, die den bescheidenen Anlass angemessener nutzen. „Ein kurzer Film über das Hüpfen“ von Martin Walz zeigt mit seinem sportlichen Surrealismus ein größeres Kurzfilmverständnis, und in „Balkan Rhapsody“ hat Esther Gronenborn eine winzige balkanische Urlaubsszene durch ihre Typen und Darsteller aufgewertet. Auch Michael Kliers „Ein Mann boxt sich durch“ entkommt durch eine souveräne Cinema-Verité-Simplizität – ein älterer Mann bietet sich auf dem Alexanderplatz gegen Geld zur Triebabfuhr an – einem rein prätentiösen Gewaltbegriff.

Allerdings kann man Klier beim besten Willen nicht als Hoffnung des jungen deutschen Films bezeichen. Ebenso wenig wie die meisten anderen Autoren, die als Videovertreiber, Tatort-, „Kleines Fernsehspiel“- und Musikclip-Regisseure schon einiges auf dem Buckel haben, oder die Darsteller, die sogar in den Rang der – wie das Presseheft schreibt – „prominenten Jungschauspieler“ gehoben werden.

Eine aus diesem Paket tritt in „99euro-films“ aber nur als Regisseurin in Erscheinung. Nicolette Krebitz' „Mon Cherie“ ist, erstaunlicherweise, einer der besseren Beiträge in diesem sumpfigen Gelände. Vier junge Frauen streifen durch eine nächtliche Straße. Männer stehen in den Eingängen der Häuser herum, und es dauert eine Weile, bis die Umkehrung zu erkennen ist, um die es Krebitz geht: Das ist keine Prä-Ausgehszene, sondern ein Straßenstrich. Auch hier werden die 99 Euro also im Film ausgegeben. Die Frauen suchen sich einen Jungen aus, gehen mit ihm in einen Park, um dort zu kichern, zu trinken und nicht wirklich zu wissen, was sie mit ihm tun sollen. Dann aber heißt es: Zieh dein Hemd aus, und wenn dieses Set-up auch nicht gerade konsequent durchgespielt wird, so lässt es doch eine Wunschebene erkennen – nach einem Zugang zu Jungs, Körpern und Sex, der gern etwas reibungsloser und unsozialer, geiler und weniger demütigend sein könnte, als es auf dem ersten Sexmarkt der Fall ist.

Was die meisten der anderen Filme betrifft, so hätte man sich viel Zeit und gedanklichen Aufwand dadurch ersparen können, dass man die Angaben zur Verwendung der 99 Euro aus den Schlusstiteln in die Titelsequenz vorgezogen hätte.

MANFRED HERMES

„99euro-films“. Div. Regisseure. Mit Julia Hummer, Laura Tonke, Axel Prahl, Minh-Khai Phan-Thi u. a., Deutschland 2001, 79 Min.

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