: Verloren in den Ruinen des Krieges
Das Dreiländereck Guinea–Liberia–Sierra Leone kommt nicht zur Ruhe. Kaum herrscht in Sierra Leone Frieden, beginnt in Liberia ein neuer Krieg. In Guinea sorgt die Anwesenheit von Flüchtlingen aus diesen Ländern für ständige Probleme
aus Gueckedou ILONA EVELEENS
Barfuß läuft ein Kind durch die Trümmer, wo früher ein Krankenhaus stand. Vergeblich versucht der kleine Junge, eine Granate aus dem Beton zu ziehen. Ein Soldat kommt, schimpft und verjagt den Kleinen.
Gueckedou ist kaputt. Vor einem Jahr wurde der guineische Ort im Dreiländereck mit Sierra Leone und Liberia bei Kämpfen zwischen Guineas Armee und Rebellen aus Sierra Leone zerstört. Die größten Schäden richtete Guineas Luftwaffe an, als sie die Stadt bombardierte. Hunderttausende Flüchtlinge aus Sierra Leone und Liberia waren zwischen den Kriegsparteien eingekesselt. Mittlerweile sind sie evakuiert worden. Die Einwohner von Gueckedou blieben zwischen den Ruinen zurück.
„Die Bevölkerung bekam zwar ein wenig Hilfe, aber vom Wiederaufbau des Ortes ist keine Rede“, erzählt Augustin Meredou. In seiner kleinen hölzernen Bude bietet der schmale, kleine Mann farbige Handtücher an. Kunden gibt es keine. „Die Regierung versprach viel, aber es blieb nur bei Worten. Vielleicht ist die Lage noch zu unsicher, um Gueckedou wieder aufzubauen.“
Daran wird sich so schnell nichts ändern. Jenseits der nahen Grenze in Liberia herrscht ein neuer Krieg, und neue Flüchtlinge kommen. Manche suchen Schutz in Sierra Leone, wo seit dem Ende des Bürgerkrieges im vorigen Jahr ein zerbrechlicher Frieden herrscht. Andere ziehen nach Guinea. Das Land ist seit zehn Jahren Zufluchtsort für Heimatlose aus der gesamten Region. Aber die Gastfreundlichkeit lässt nach.
Heute sind große guineische Truppenverbände an den Grenzen zu Sierra Leone und Liberia stationiert. Beobachter vermuten, dass Guinea die Rebellen in Liberia unterstützt, um Präsident Charles Taylor zu stürzen. Taylor unterstützte vorher die RUF-Rebellen in Sierra Leone und auch kleine, obskure guineische Rebellengruppen. Liberia, Sierra Leone und Guinea – das Ländertrio ist eng miteinander verbunden. Die kolonialen Grenzen führen quer durch die Siedlungsgebiete der Völker. Unruhe in einem der Länder greift leicht auf die anderen über.
In Guinea halten Präsident Lansana Conté und das Militär die Zügel fest in der Hand. Oppositionelle landen im Gefängnis, Wahlen sind immer mit Betrug verbunden. Die Bodenschätze füllen nicht die Staatskasse, sondern die Konten der Regierungsclique. Bei den unzähligen Straßensperren verlangen Soldaten und Polizisten Schmiergelder von den Busfahrgästen. „Was soll ich denn machen“, fragt Marie Zoumaigui, die mit dem Bus Kartoffeln von ihrem Acker nach Gueckedou bringt. „Die Soldaten und Polizisten sind bewaffnet, also haben sie die Macht. Bei wem könnte ich klagen?“
Internationale Hilfsorganisationen scheuen Guinea. Felix Tea kann darüber mitreden. Der kleine, rundliche Mann leitet eine lokale Hilfsorganisation. Er züchtet Hühner und leiht die Tiere an Bauern aus, damit sie mit eigenen Geflügelhöfen anfangen können. „Es ist schwierig, finanzielle Hilfe aus dem Ausland zu bekommen“, erklärt er. „Der Wille, der Bevölkerung zu helfen, ist da, aber der schlechte Ruf der Regierung steht im Weg. Von der Bevölkerung wird trotzdem verlangt, ihre karge Existenz mit Flüchtlingen zu teilen.“
Kaum 100 Kilometer von Gueckedou liegt Kissidougou. Dort leben jetzt Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Abgebrannte Waldstücke verunstalten die Landschaft von Palmen und Reisfeldern. Auf der versengten Erde steht hin und wieder ein Baumgerippe. Entlang den Straßen liegen Stapel von Brennholz und Holzkohle.
„Die Entwaldung ist außerordentlich ernst“, meint Bernard Dembadoumo, örtlicher Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation Action contre la Faim. „Nur schnelle, groß angelegte Wiederaufforstung kann eine ökologische Katastrophe verhindern. Wenn wir nichts tun, kriegen wir hier eine Wüste.“
Die Ansiedlung großer Flüchtlingslager bringt Umweltprobleme – darauf weisen Umweltschutzgruppen seit Jahren hin. Ob in Guinea, in Tansania oder im Kongo: Hilfsorganisationen sorgen zwar für Unterkunft und Essen, aber Brennstoff müssen die Flüchtlinge selbst finden. So holzen sie ihre Umgebung ab. Nach den Sierra-Leonern tun das in Guinea jetzt die Liberianer. Und auch die Guineer fällen Bäume, um damit Geld zu verdienen. Sie müssen zwar für jeden gefällten Baum Steuern zahlen, weil das Gesetz nur selektive Abholzung gestattet, aber die Behörden erteilen die Genehmigungen gerne, weil die meisten Baumsteuern in private Taschen gelangen.
„Die Wälder sind für uns symbolische Schutzorte“, erklärt Pater Justin Oundeno von der Saint-Louis-Kirche in Kissidougou. Der junge Geistliche erinnert an die Naturreligionen der Gegend, in denen Bäume eine wichtige Rolle spielen: „Wir können uns dort vor Gefahren verstecken, genau wie das Familienband uns gegen Gefahren schützt. Durch das Verschwinden der Wälder wird unsere Gesellschaft instabil. Zugleich zerrütten die modernen Zeiten die Familienbänder. Wir werden ein umherirrendes Volk.“
Ein Steinwurf von seiner katholischen Kirche entfernt liegt der große Markt von Kissidougou. Zwischen dem alltäglichen Angebot liegen Stücke blauer Deckplanen – Material der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR – sowie Säcke mit gespendeten Nahrungsmitteln und teuren Medikamenten. „Was habe ich vom Essen, wenn ich es nicht kochen kann“, sagt eine Flüchtlingsfrau aus Liberia, die den Reis der UNO verkauft. „Ich verkaufe einen Teil meiner Ration, um Geld zu verdienen. Damit kann ich Holz kaufen.“
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