O Herr, lass es Buceriusse regnen

Beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland war das Heulen und Zähneknirschen groß. So schlecht wie derzeit ging es den Zeitungen noch nie

Giovanni di Lorenzo hat einen Briefkasten übrig. Als die überregionalen Zeitungen noch üppiger waren, hat sich der Tagesspiegel-Chefredakteur zwei Kästen angeschafft. Im ersten steckte sechsmal die Woche die Süddeutsche Zeitung, im zweiten die noch dickere FAZ. „Inzwischen passen an vielen Tagen beide Blätter in einen“, sagt di Lorenzo – und hat damit ein Problem recht anschaulich illustriert.

Viele große Zeitungen sind in den vergangenen Monaten dünner geworden. Ihre Verlage klagen über hohe Verluste. Um fast 13 Prozent gingen die Anzeigenerlöse 2001 im Vergleich zum Vorjahr zurück. In diesem Jahr sanken die Einnahmen weiter. Da sich die meisten Blätter zu etwa zwei Dritteln über Werbung finanzieren, lassen sich die Verluste kaum ausgleichen. Die Überregionalen trifft es wegen des Einbruchs der Stellenanzeigen besonders hart. Größter Verlierer: die FAZ. Sie verbuchte zwischen Januar und März 42 Prozent weniger Anzeigenseiten als im Vorjahreszeitraum.

Eigentlich war di Lorenzo diese Woche nach Leipzig gereist, um dort über Sonntagszeitungen zu diskutieren. Doch beim dreitägigen Medientreffpunkt Mitteldeutschland geisterte angesichts der drückenden Zahlen das Thema Finanznot auch durch seine Veranstaltung. Im Spiegel hatte FAZ-Geschäftsführer Jochen Becker zuvor das Ausmaß der Krise umrissen: „So etwas hat noch keiner von uns erlebt.“ Die Verleger schieben das Unheil nun auf die Journalisten ab. Bei der Frankfurter Rundschau sollen 20 Prozent gespart werden, die Süddeutsche will bis zu 15 Prozent ihrer Kosten senken, beim Axel Springer Verlag soll jeder Zehnte entlassen werden, auch bei der FAZ werden Kündigungen nicht ausgeschlossen.

Auf dem Arbeitsmarkt wird’s eng. Im März hatte der Hamburger Jahreszeiten-Verlag die Woche eingestellt. „Von den Redakteuren haben bis jetzt gerade mal zwei einen neuen Arbeitsplatz gefunden“, berichtete in Leipzig die letzte kommissarische Chefredakteurin Sabine Rosenbladt. Allerdings sei an dem Aus ihres Blattes keine Krise Schuld. „Shareholder Value ist für die potenten Verlage heute wichtiger als publizistische Brillanz“, schimpfte die Journalistin auf die abgesprungenen Kaufinteressenten. Die Einbrüche des Werbemarktes dienten lediglich als Vorwand, um rabiate Umstrukturierungen vorzunehmen. „Die journalistische Vielfalt wird kaputtgemacht, und zwar unwiederbringlich.“ Mit ihrer Bitte an die Großverleger, teuren Qualitätsjournalismus mit Einnahmen aus dem Boulevard zu subventionieren, stand Rosenbladt allein auf weiter Flur.

Thomas Ehlers vom Axel Springer Verlag will für Zeitungen durchsetzen, was die elektronischen Medien vorgemacht haben: „Inhalte austauschen.“ Ehlers hat die Fusion von Welt und Berliner Morgenpost vorangetrieben. Diese Politik hat zig Journalisten den Job gekostet. Dafür dürften die Verluste der jahrelang vom Verlag subventionierten Welt nun sinken.

Zeitung gleich Auto

Auch Dieter Soika, Chefredakteur der Chemnitzer Freien Presse, findet es unproblematisch, wenn eine Redaktion mehrere Blätter bedient: „Die Regionalzeitungen in Nordrhein-Westfalen tauschen sich doch schon lange aus.“ Eine Zeitung müsse auf den Markt reagieren – „ihre Produktion hat die gleichen Gesetze wie die Produktion eines Autos.“ So gesehen könnte Soika auch neuer VW-Chef werden, Ehlers ginge zu BMW – und ihre Blätter druckten nur noch Agenturtexte. Der Medienwissenschaftler Bernd Blöbaum glaubt jedenfalls nicht, dass Fusionen der richtige Schritt aus der Krise sind. „Das Publikum honoriert es nicht, wenn eine Redaktion zwei Marken bedient“, sagte er beim Medienforum. Auf solche Stimmen hören die Zeitungschefs nach den Anzeigeneinbrüchen aber kaum noch. Selbst di Lorenzo, der mit dem Tagesspiegel einst in der Printbundesliga spielen wollte, sagt: „Einige Qualitätszeitungen sind zu üppig ausgestattet.“ Zeitungen seien nun mal keine staatlich subventionierten Theater. Lediglich Sabine Rosenbladt erinnert: „Früher hat der Verleger Gerd Bucerius die kostspielige Zeit mit Einnahmen aus dem Stern gerettet.“

Wie schnell sich die Anzeigenmärkte und somit die Zeitungen erholen werden, mochte in Leipzig keiner einschätzen. Aber vielleicht kann ja di Lorenzo etwas dazu beitragen, die Krise zu lindern. Er sollte privat noch ein paar klamme Blätter mehr abonnieren. Einen freien Briefkasten hat er ja. RALF GEISSLER