„Geistekranke“ zu Tode gespart

■ Im Oldenburger Schloss zeigt eine Ausstellung, wie in Niedersachsen während des Nationalsozialismus Menschen psychisch krank gemacht und dann umgebracht wurden

Nein, schockierende Photos, aufrüttelnde Zeugnisse kann sie nicht bieten: Die kleine Wanderausstellung „Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen“ stützt sich auf akribisch zusammengetragene Dokumente. „Viele Akten wurden auf Geheimbefehl hin vernichtet, als das Reich zusammenbrach“, sagt der Hannoveraner Politologe Reimond Reiter. Trotzdem hat er von 1991-1995 geduldig bei Archiven angeklopft. In den elf in Frage kommenden Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen ist er auf Kooperationswillen gestoßen. Im Oldenburger Landesmuseum wird die vom Niedersächsischen Sozialministerium unterstützte Schau also aktuell ergänzt mit Originaldokumenten aus dem Landeskrankenhaus Wehnen bei Oldenburg, damals „Heil- und Pflegeanstalt“.

Im Gegensatz etwa zur Pflegeanstalt Lüneburg wirken die Zustände in Wehnen noch milde. Denn Lüneburg war eine so genannte „T4“-Einrichtung, von der aus Menschen in die Vernichtungsanstalten des NS-„Euthanasie“-Programms befördert wurden. Anstaltsleiter Max Bräuner beteiligte sich ab 1936 an Untersuchungen zur Vorbereitung eines „Euthanasie“-Gesetzes. Ab 1944 war Lüneburg Sammelstelle für „geisteskranke“ Ostarbeiter, die von hier zur Ermordung abtransportiert wurden.

Die Ausstellung stützt sich auf gut recherchiertes statistisches Material, das verdeutlicht, wie Ideologen und Verwaltung zusammenarbeiteten. Auffällig nämlich ist die deutliche Zunahme von psychiatrisierten Menschen ab Beginn des zweiten Weltkrieges: Die Zahl der etwa in Göttingen eingewiesenen Frauen verdreifachte sich von 1933 bis 1943. Generell wurden mehr Frauen als Männer aufgenommen. Was mit ihnen in den Anstalten geschah, ist nicht detailliert aktenkundig. Aber wenn dort von „diesen Maßnahmen“ die Rede ist, zu deren Umsetzung und Unterstützung die Klinikleitungen angehalten werden, ist klar, was gemeint ist. Aus Sterilisationen wurde schließlich kein Hehl gemacht: Auch im Landeskrankenhaus Wehnen ergingen Überweisungen in das Peter-Hospital Oldenburg, mit denen Dr. Rau und Dr. Hoffmann Sterilisationen anordneten: “Der Arbeiter ist unfruchtbar zu machen“, heißt es in einem solchen Formular vom 14. Februar 1942.

„Die Heilanstalten nutzten die starke Abhängigkeit ihrer Patienten und die bekannten Helfersyndrome pflegerisch tätiger Menschen, um diese Maßnahmen als Feldversuch für erbbiologische Maßnahmen im großen Stil auszutesten“, schlussfolgert Reimond Reiter. In Wehnen bei Oldenburg – heute Landeskrankenhaus – wurden psychiatrisierte Menschen denn auch auf andere Weise beseitigt als durch direkte Tötung. Die Lebensmittelrationen wurden dras-tisch gekürzt– Anstrengungen unter aktiver Einbeziehung des Personals, die auch noch als Sparerfolg der Anstalt vermerkt wurden. So wurde in Wehnen von 1925 bis 1940 der Aufwand für Nahrung pro Person von 95 auf 39,8 Reichspfennig gesenkt – trotz Inflation. Gespart wurde vor allem an Fett und Zucker, Butter gab es gar nicht. Diese hochwertigen Lebensmittel gingen natürlich in kriegswichtige Bereiche.

Für Sabine Neumann-Schmidt, Oberärztin in Wehnen, ergeben sich aus dieser Geschichte auch aktuelle Bezüge: “In den zwanziger Jahren hieß es auch schon, das Gesundheitssystem sei nicht finanzierbar. Die Nazis haben an der Kos-tenschraube gedreht und die Sterilisationsverfahren eingeführt.“ Die kleine Ausstellung verzichtet zwar auf Kommentare in diese Richtung, aber sie drängen sich über die reine Dokumentation erschreckend genug auf. In Wehnen selbst gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Vergangenheit des Hauses befasst und auch die Dokumente ausgegraben hat. Die Auseinandersetzung mit der hautnahen Vergangenheit des Hauses habe die MitarbeiterInnen noch mal stärker sensibilisiert für Fragen der Diskriminierung und der Patientenwürde. Sabine Neumann-Schmidt sieht lange Verbindungslinien aus der Vornazizeit zu heutigen Fragen, etwa in der pränatalen Medizin: “Die Frage ‚Was ist lebenswert?« war 1920 der springende Punkt.“

Marijke Gerwin

Noch bis zum 9. Juni, dienstags bis freitags, 9 bis 17 Uhr, samstags/sonntags 10 bis 17 Uhr im Oldenburger Schloss. Führungen mit Ingo Harms, Autor des Bandes „War mööt wi hier smachten – Hungertod und Euthanasie in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen im Dritten Reich“ können vereinbart werden unter:0441-9615288.