: Stillstandsstudien
Die allertraurigste Band des Planeten und der erste Nachwuchs der ruhigen, neuen Lauten: Die norwegische Band Ai Phoenix spielt ihre endlos ruhigen, folkigen Klänge und ihre lang gezogenen, schwermütigen Melodien im Bastard
Manchmal, wenn ein Gitarrenton nachklingt, scheint in diesem schwebenden Schwingen die ganze Traurigkeit der Welt zu liegen und ihre ganze Schönheit gleich mit. Noch seltener wird solch ein Augenblick zu Unendlichkeit. Außer wenn man Ai Phoenix zuhören darf, ihrem endlos ruhigen, folkigen Klängen, ihren lang gezogenen, schwermütigen Melodien.
Also: Auch in Norwegen ist es die neue Stille, die lautstark ist. Oder: Vor allem dort. Schließlich haben die von dort stammenden Kings of Convenience hauptverantwortlich die Sache mit dem „Quiet is the New Loud“ dereinst losgetreten.
Ai Phoenix sind Landsleute von den Königen der Bequemlichkeit. Man kann sie getrost als Nachzügler bezeichnen, auch wenn sie ein ganzes Stück sphärischer daherschweben und sehr viel weniger Lagerfeuerromantik verbreiten. Nein, kein hektisches Gitarrenpicking, nichts passiert schnell in der Musik von Ai Phoenix, niemals wird sie in Phonzahlen messbar laut. Eher erscheint auf „Lean That Way Forever“, dem dritten Album des Trios aus Bergen, mancher Song wie eine Fata Morgana leicht flimmernd und unscharf in der Ferne. Wenn man versucht näher zu kommen, beginnt das Lied sich aufzulösen im Nichts. Es ist schwer, sich an ein Stück von Ai Phoenix zu erinnern, wenn es erst einmal verklungen ist. Nicht umsonst heißen diese kleinen, feinen Studien des Stillstands „Bird Whispering“ oder „Very Kind“.
Gegründet wurden Ai Phoenix vor fünf Jahren von Patrick Lundbarg und Mona Mörk. Die beiden, ihre Stimmen, die sich des öfteren auch im Duett ergänzen, und die von ihnen geschriebenen Songs machen seitdem die Band aus, deren Alben es immerhin bis in die norwegischen Top Ten schaffen. Trotzdem werden sie von der Lokalpresse schon mal als die „beste Hobbyband“ des Landes bezeichnet. Darüber hinaus ist nicht viel zu erfahren über Ai Phoenix: Die üblichen Besetzungs- und Labelwechsel, alle paar Jahre eine neue Platte, der übliche Rhythmus einer Band also.
So sollte man am besten einfach zuhören. Der Hype um die neue Stille ist lange schon verebbt, aber die Augenblicke, in denen sich Melancholie und Musik berühren, die gibt es auch hier und heute. So wird vielleicht schon nächste Woche, wahrscheinlich nächsten Monat, sicherlich nächstes Jahr wohl niemand mehr von Ai Phoenix sprechen, wird „Lean That Way Forever“ in Vergessenheit geraten sein, wird das letzte Schwingen vergangen sein.
Aber in dieser Stunde, in diesem Moment sind Ai Phoenix die allertraurigste Band des Planeten, die Band, die immer wieder jenen Moment erzeugen kann, der Traurigkeit und Schönheit miteinander vereint.
THOMAS WINKLER
Heute, 21.30 Uhr im Bastard@Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg
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