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Ausgestopfte Löwen in der Lobby

Zicken unter sich: In Aby Morgans Stück „Palast (Splendour)“ hangeln sich vier Frauen beim Smalltalk über die Abgründe eines vergessenen Krieges hinweg. Doch an der Schaubühne bleibt es beim bösartigen Geplänkel

Der Zoo wurde bombardiert, die Löwen stehen jetzt ausgestopft in der Lobby des Hotels. Kathryn erwähnt das, die arbeitsbesessene Fotografin; sie sagt es nebenbei, mehr zu sich selbst. So wie man alles über den Krieg, den Diktator und den Terror gegen eine Region im Norden aus Randbemerkungen der vier Frauen herauslesen muss, die Aby Morgan in ihrem Stück „Palast (Splendour)“ in einem Bungalow aufeinander treffen lässt. In der Schaubühne nahm Christiane Pohle die deutsche Erstaufführung von „Palast“ in die Hand.

Smalltalk über Abgründen: Das ist gute angelsächsische Tradition. Auch die Stücke von Sarah Kane und Mark Ravenhill, mit dem Aby Morgan zusammengearbeitet hat, begannen oft an den schillernden Oberflächen zwischen Trash und Prada, um sich dann ganz schnell ins blutige Fleisch darunter zu stürzen. Morgan will es langsamer angehen, das Unheimliche und das Grauen steigern, indem sie sich auf die Verdängungsstrategien der Frauen konzentriert: ihre große Mühe, das Gespräch bei Schuhgrößen, Handtaschen und den Erinnerungen an die Familie früher zu halten und über alles andere nicht zu reden.

Doch alles andere bestimmt ihr Leben und nicht nur ihres. Das ist die Südstadt, die brennt, und ein Aufstand, der näher rückt. Das ist vor allem der Mann, auf den sie alle warten. Kathryn (Julika Jenkins) soll ihn fotografieren und verflucht dafür ihre Agentur. Micheleine, seine Ehefrau, von Cornelia Heise herb und arrogant gespielt, hält sich lieber an die Zeit, als er sie im Schnee entführte. Genevieve (Cristin König), ihre fragile Freundin, macht um ihn genauso einen großen Bogen wie um die unklaren Umstände des Todes ihres Mannes. Nur Gilma (Linda Olsansky), Kleptomanin und Underdog, Hochstaplerin und Dolmetscherin, nennt die Dinge fast beim Namen. Der, der nie kommt, der wahrscheinlich schon geflohen ist, ist der Diktator, der ihrer Familie aus dem „Norden“ alles genommen hat.

Gilma ist die interessanteste Figur: Wie sie sich arrangiert hat mit denen, die ihre Heimat okkupieren. Wie sie rassistische Demütigungen durch die Statussymbole des sozialen Aufstiegs zu kompensieren sucht. Wie sie damit leben gelernt hat, dass man ihr das Misslingen schon von weitem ansieht und trotzdem an ihren Fiktionen festhält. Die anderen sind in ihren Selbsttäuschungen viel raffinierter. Aber auch viel blasser.

Blass bleibt leider auch die Inszenierung. Die Schaubühne glaubte sicher, mit zwei Premieren im Mai die Kritikerdichte, die das Theatertreffen in die Stadt getrieben hat, für sich ausnutzen zu können. Aber gemästet an den starken Eindrücken dort, saß man die Vorstellung hier bloß brav ab. In den Sophiensälen und in Dresden hatte Christiane Pohle ganz eigene Melodien als Regisseurin gefunden. Durch den „Palast“ aber bewegt sie sich so schüchtern wie ein Kind, das zu Besuch bei den reichen Verwandten nicht weiß, was es denn anfassen darf.

So kommt das Stück viel zu spät an in der Katastrophe, die es dauernd überspielen will. Es bleibt ein Geplänkel mit bösartigen Spitzen: Natürlich können sich Kathryn, die ihre Karriere auf dem Schock aufbaut, den ihre Fotos zu übermitteln vermögen, und Micheleine, deren Bedeutung nur mit dem Schatten wächst, den ihr Mann wirft, nicht ausstehen. Mit ihrer alten Freundin Genevieve hat Micheleine die Verachtung schon 25 Jahre lang geübt. Nur bei Gilma, die ihren Dialekt aus dem Norden vergeblich zu verleugnen sucht, sind sie sich einig in ihrer Gemeinheit. Zicken unter sich. Das ist nicht abendfüllend.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Weitere Vorstellungen in der Schaubühne 15., 27. + 28. Mai, 20.30 Uhr.

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