: Die blaue Grotte von Capri
Kunst kann eine Insel sein: Berlins freie Künstlergruppen werden allerdings nicht müde, nach immer neuen Ufern zu suchen. Von WBD über Sensor K.(unst) und „Dorothy Vallens“ bis zu „Stadt im Regal“ – ein Rundgang auf unabhängigen Kunstpfaden
von RICHARD RABENSAAT
Früher war alles viel einfacher. Als die Menschen noch auf allen vieren durch den Busch krabbelten, erübrigte sich langwieriges Werben, man kam direkt zur Sache. Anders wurde das erst mit dem aufrechten Gang: Die Umworbene konnte nicht so einfach nach dem Schlag mit dem Faustkeil in den Busch gezerrt werden. Daher sah sich der männliche Teil der Menschheit vor die Notwendigkeit gestellt, Verführungsrituale zu ersinnen. So entstand die Liebe. Behauptet jedenfalls Uta Kollmann. „Faustkeil II“ nennt die Künstlerin ihre Videoarbeit im Projektraum „WBD“ = Wand, Boden, Decke in der Brunnenstraße.
WBD ist einer der Orte in Berlin, in denen abseits der etablierten, kommerziell ausgerichteten Galerie- und Ausstellungsräume das Projekt Kunst stattfindet. Die Kuratoren huldigen hier dem Entdeckergeist und der Neugier, abseits ausgelatschter Kunstpfade doch immer wieder Überraschendes zu entdecken. Als „Non-Profit-Initiative zur Diskussion und Umsetzung aktueller künstlerischer Konzepte“ sehen Michael Dethleffsen, Thomas Ravens und Martin Städeli ihr Projekt. Doch: „Wir sind keine Selbsthilfegruppe und auch nicht für jeden Blödsinn offen“, meint Dethleffsen.
Obwohl die drei UdK-Absolventen kein konkretes Programm für ihren Raum festgeschrieben haben, wird in der Diskussion doch stets schnell klar, ob eine neue Position in das Konzept passt oder nicht. „Was wir tun, manifestiert sich darüber, dass wir es tun“, behauptet Martin Städeli. Tatsächlich zeigt WBD künstlerische Positionen aus fast allen aktuellen Sparten, diese reichen von der altehrwürdigen Tafelbildmalerei über Videoarbeiten bis hin zu Installationen und semidokumentarischen Filmproduktionen. Klappt das Verschicken der Einladungskarten oder das Zusammenzimmern der aktuellen Installation nicht, sind die Projektmacher gerne behilflich. „Wir lösen Probleme“, sagt Thomas Ravens.
Nicht die Präsentation verschiedener Einzelpositionen, sondern das gemeinsame Interesse am verbindenden Topos hat die Künstlerinnengruppe „Dorothy Vallens“ zusammengeführt. „Die Inszenierung von Körperlichkeit und Sexualität interessiert uns“, kommentiert Esther Röhrborn die Fotos der letztjährigen Aktion der Gruppe im ehemaligen Domina-Studio „Rheingold“. Fotos und Filme zeigten die biedere, großbürgerliche Altbauwohnung, als sie noch dem Lustgewerbe gewidmet war. Auch „Dorothy Vallens“ agierte auf den Bildern. Die Frauen rangen miteinander, eine von ihnen ließ sich schlagen. Andere Fotos bebilderten die Inszenierung fetischisierter Sexualität. Aber: „Wir machen keine Dokumentationen“, behauptet Gudrun Herrbold.
Sie lernte die ehemalige Brandenburger Boxmeisterin und HdK-Absolventin Röhrborn im Jahr 2000 bei der Recherche für ein Theaterprojekt kennen, als Herbold sich mit der theatralischen Darstellung des Boxsports beschäftigte. Aus dem gemeinsamen Interesse an ungewöhnlichen Extrempositionen weiblicher und männlicher Körperlichkeit entstand die Künstlerinnengruppe, zu der noch die Fotografin Josefine Hobbs und die Theatermacherin Tanja Knauf gehören. Die Fotoinstallation im Atelier Rheingold erregte Aufsehen: Es folgten Einladungen der Frauen zu Theater- und Kunstfestivals nach Hamburg, Zürich und München. Trotz des Interesse an Performance- und Filmpräsentationen fällt Dorothy Vallens bei ihren Aufführungen nicht in die Achtzigerjahre zurück. „Wir machen das nicht so: eine schmeißt Farbe auf die Leinwand, eine andere spielt Saxofon. Wir inszenieren unsere Versuchsanordnungen“, erklärt Herrbold.
Bar jeder theatralischen Inszenierung bastelt die Künstlerinnengruppe „Stadt im Regal“ ihre Räume und Präsentationen. Die wahrscheinlich größte Formation in Berlin, immerhin 15 Künsterinnen sind beteiligt, entstand bereits 1997 durch einen Zufall. Bei der Überlegung zu Möglichkeiten von gemeinsamen Projekten, die in der Öffentlichkeit und nicht nur im geschützten Atelier stattfinden, sahen die Projektgründerinnen in spe aus dem Fenster und entdeckten ihr Thema: ein Parkhaus, die gestapelte Stadt, eine Stadt im Regal. Die Veränderung der individuellen Lebenswelten, die strukturelle Wandlung der Urbanität wurde das Thema von „Stadt im Regal“.
Es gelang, den Eigentümer des Autocontainers dafür zu begeistern, das Haus mit Installationen und Kunstobjekten zu bespielen. Durch die im Parkhaus entstandenen Objekte führte dann der „Mutti-Plan“‘, ein in Falk-Plan-Form gefaltetes Heft. Das Blatt bot bei Orientierungslosigkeit des Betrachters angesichts der präsentierten Vielfalt einen roten Faden. Nach der Premiere bei der Gruppenausstellung folgten Einladungen nach Mexiko, in die USA, zu Z 2000 in Berlin. Gegenwärtig planen die Künstlerinnen eine Gruppenausstellung in Wien. Auch hierbei steht wieder der Gruppengedanke im Vordergrund, die Arbeiten sollen sich aufeinander beziehen, deshalb wird lange diskutiert. „Wir bügeln keine einzelnen Meinungen unter“, behauptet Tina Born.
Keine langwierigen Entscheidungsprozesse gibt es, wenn der Kurator Ralf F. Hartmann seinen Raum am Mehringdamm, den Sensor K.(unst), bespielt. „Weil ich alleine bin, bestimme ich natürlich das Programm“, erläutert Hartmann. Präsentieren will er vor allem Kunst, die sich mit internationalen sozialen und politischen Bezügen auseinander setzt. Einen der anvisierten Künstler entdeckte Hartmann bei einer Gruppenshow im Haus der Kulturen der Welt. Dort servierte der Kolumbianer an einer Bar Traubensäfte. Das sah zunächst einmal nicht nach Kunst aus. Als Hartmann jedoch seinen Cocktail schlürfte, erkannte er die Absicht, denn der Künstler fing an, von Drogen und Verslumung in Kolumbien zu erzählen. „So erfuhr ich viel mehr, als wenn er einfach Fotos gezeigt hätte“, meint Hartmann.
Keine politische, sondern eine ästehtische Position vertreten die Macherinnen von „Capri“. In dem von Ina Bierstedt, Bettina Carl und Alena Meier betriebenen Raum an der Brunnenstraße ragen allerlei Podeste und Quader in den ansonsten cleanen „white cube“. „Das war früher wohl einmal ein Blumenladen. Uns erinnerte es an die blaue Grotte von Capri“, schildert Bettina Carl die Entdeckung der Örtlichkeit. Bei der Anmietung überlegten die drei, das Enterieur einzureißen, aber: „Es war einfach zu schön für den Sperrmüll.“ Nun müssen sich die von dem Frauentrio präsentierten Einzelpositionen jeweils mit dem schwierigen Raum auseinandersetzen. Bei einer der letzten Ausstellungen schimmerte aus dem hinteren Raum ein blaues Licht. Die Künstlerin, Uta Kollmann, meint: „Auch Kunst kann eine Insel sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen