: Krieg der Sterne gegen die Kritik
Fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem „Star Wars“ im Mai 1977 in den USA angelaufen war, hatte Michel Foucault vor der Société Française de Philosophie nach der Funktion von Kritik gefragt. Als Foucault seinen Vortrag „Was ist Kritik?“ am 27. Mai 1978 in Paris hielt, war der Kinokrieg der Sterne längst ein weltweites Phänomen. Kurz nach dem französischen Filmstart Ende Oktober 1977 hatte sich „Star Wars“ mit einem Einspielergebnis von 193,5 Millionen Dollar den Ruf „erfolgreichster Film aller Zeiten“ erworben, der schließlich in eine zweite Phase des Weltmarkttriumphs mit omnipräsentem Merchandising – vom T-Shirt bis zum Shampoo – überging. Gerade deshalb eignet sich Foucaults Frage nach den Möglichkeiten der Kritik besonders gut dazu, von „Star Wars“ zu sprechen und vor allem von dem Problem, dem sich eine Kritik zur aktuellen Fortsetzung der Saga gegenübersieht.
Foucault hatte Kritik als eine „Kunst der freiwilligen Unknechtschaft“ beschrieben, als „reflektierte Unfügsamkeit“ und die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“. Von diesem Ansatz aus, Kritik als eine „Funktion der Entunterwerfung“ zu begreifen, wird es in Sachen „Star Wars“ kompliziert. Denn die regierende Macht dieses Kinoereignisses besteht nicht zuletzt darin, dass alles und jeder sein Kommen ankündigen und seine Gegenwart würdigen/vervielfältigen muss. „Wer von ‚The Phantom Menace‘ nichts sehen und hören will“, schrieb 1999 Gunter Göckenjan zum Start von „Star Wars – Episode 1“, der müsse „zu Hause bleiben, Radio und TV ausschalten und die Zeitung liegen lassen.“
Wie also soll man an einem Phänomen Kritik üben, wenn jeder Beitrag immer schon die Allgegenwart des Produkts und dessen Besetzung des öffentlichen Raums fortschreibt? Wie von „Star Wars“ sprechen, ohne damit automatisch an der berechneten Konstruktion „des Ereignisses“ mitzuwirken? Und wie geht das, wenn die gegenwärtige Fortsetzung „Episode 2: Angriff der Klonkrieger“ überdies zu jenen Blockbustern gehört, die immer seltener in Pressevorführungen gezeigt werden und darum auch für die Kritik zuallererst nicht als Film, sondern als kommendes Ereignis existieren. Anders gefragt: Wenn das Schweigen zu „Episode 2“ nicht die einzige Möglichkeit von Entunterwerfung sein soll, wie könnte dann eine Kritik aussehen?
Vielleicht besteht eine Chance ja gerade darin, von diesen Problemen einer „reflektierten Unfügsamkeit“ zu sprechen und von ihrer Geschichte, die eng zusammenhängt mit der Entwicklung jenes Blockbuster-Kinos, mit dem wir es heute zu tun haben. Wie der Erfolg von „Episode 1“ gezeigt hat, wurden und werden alle vorgebrachten Kritikpunkte und Diskussionen mehr oder weniger Teil des weltweiten Feuerholzes, das die „Star Wars“-Ereignis-Suppe am Kochen hält. Auch vorliegender Text ist schon jetzt in dieser Funktion tätig, und auch deshalb ist es sinnvoll, nach den Bedingungen und den Gründen dafür zu fragen.
Seit dem Erscheinen von „Episode 1: Die dunkle Bedrohung“ vor drei Jahren ist in Zeitschriften und Internetforen reichliche und berechtigte Kritik an rassistischen, antisemitischen und homophoben Stereotypen geübt worden, die in Figuren wie dem schmierigen, geldgeilen Shylock-Verschnitt Watto und dem tölpelhaft radebrechenden Jar Jar Binks verbraten werden, der als leicht bescheuerter, ewig federnd- schlendernder Quasi-Rastafari den Sidekick der weißen Jedi-Ritter mimen darf. „Michse seien Jar Jar Binks, michse euer Diener!“ Detaillierte und kritische Auseinandersetzungen mit den Wurzeln der von George Lucas entworfenen Welt (von „Star Wars – Krieg der Sterne“ über „Das Imperium schlägt zurück“ (1979) und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1982) bis zu „Episode 1“ gehören ebenso zum „Star Wars“-Diskurs wie die jüngeren Beteuerungen, „der ganze Vorwurf rassistischer Stereotypen“ sei „absolut absurd“. Im American Cinematographer hatte Lucas erklärt: „Ich glaube nicht, dass jemand mit gesundem Menschenverstand, besonders Menschen wie die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) oder die Jewish Anti-Defamation League, solche Beschuldigungen ernst nehmen kann. […] Es scheint, dass nur die Presse etwas daraus machen will, und die tun es offensichtlich, um mehr Zeitschriften und Zeitungen zu verkaufen.“
Natürlich konnte George Lucas diese Replik recht gelassen vorbringen. [1]Erstens wusste er: Wenn mit dem Namen „Star Wars“ Zeitschriften und Zeitungen verkauft werden, wird eben auch der Name und damit das Produkt „Star Wars“ weiter verkauft. Und zweitens war ihm klar, dass sich die entscheidende Zielgruppe davon nicht beirren ließ. Am Ende spielte „Episode 1“ als vierterfolgreichster Film aller Zeiten knapp eine Milliarde Dollar ein.
In einem Gespräch mit der Filmkritikerin Anke Sterneborg rechnete der Produzent von „Episode 1“, Rick McCallum, dann auch ganz offen vor, warum ihn solche Kritik (und Kritik überhaupt) völlig kalt lasse. Nicht nur weil die Kritiken nur einen verschwindend geringen Teil von Kinogängern erreichten. Entscheidend sei vielmehr, dass es überhaupt nicht auf die Qualität des Films ankomme: „Wenn ein Film die Menschen bewegt, hat das nichts damit zu tun, ob er gut oder schlecht ist“, verriet McCallum. Wenn nämlich „400 oder 500 Millionen ihn anschauen“, klinke er sich „in den kollektiven Zeitgeist der Welt ein“, und so „spielt es keine Rolle, was die Kritiker sagen“, denn das „geht einfach von Mund zu Mund und funktioniert überall“. In einen solchen Film „gehen die Kids immer wieder rein, diese Zahlen entstehen ja erst, wenn zwölfjährige Mädchen ihn 20-mal anschauen – Jungs gehen in der Regel nur vier- bis fünfmal in denselben Film.“ [2]
Eine anklagende Aufdeckung kalten Geschäftskalküls zieht hier also nicht so ganz. Denn frank und frei von der qualitätsunabhängigen Bewegung der Massen, von der Bedeutung des reinen Erfolges und des Marketings zu reden, ist seit langem ein wesentlicher Teil dessen, was als „Kult“, als „Religion“ und natürlich als „der Mythos“ von „Star Wars“ bezeichnet worden ist. Er befördert die Bewegung. Doch wieso eigentlich verträgt sich das romantische Märchen um mystische Jedi-Ritter, „die Macht“, Darth Vader, Darth Maul und den Kampf gegen „das Imperium“ so gut mit seiner nüchternen Vermarktung?
Erstens interessiert sich das aktuelle Publikum eher wenig für derartiges Widerspruchspotenzial. Und zweitens bestand der große Clou von George Lucas & Co gerade darin, die Geschichte ihres ökonomischen Erfolges (inklusive der Entstehung von „Lucasfilm“, „Industrial Light & Magic“ und deren finanzieller Macht) in eine Metapher- und Spiegelbeziehung mit dem Kampf der Jedi-Rebellen gegen das Böse zu setzen. Wer vom Sieg des jungen Luke Skywalker über „das Imperium“ sprach, redete dabei gern auch vom Triumph des jungen Lucas über die betagten Hollywood-Studiobosse. „George Lucas brauchte nicht lange nach einer Inspirationsquelle für sein böses Imperium zu suchen“, verrät James Erskines Dokumentation „Eine längst vergangene Zukunft“, und der Regisseur und Drehbuchautor Lawrence Kasdan ergänzt: „Der Trick der Jedi-Ritter besteht darin, dass ihre Gedanken viel mächtiger sind, als die anderer Menschen, und deshalb können sie anderen ihre Fantasie oder ihr Ideal aufoktroyieren. Und genau das heißt es, in Hollywood Filmemacher zu sein.“ [3]
Eine zweiseitige, in sich perfekte Erfolgsgeschichte, die auch deshalb so oft weitererzählt wurde, weil sie sich (im Sinne des Erfinders) um eine dritte Seite abrunden ließ: um die Geburtsstunde des Blockbuster-Prinzips. Das Konzept der Filmindustrie jedoch, mit einer Handvoll enorm erfolgreicher Produktionen, den Blockbustern, die Profite einer ganzen Saison zu sichern, sodass die Überzahl der anderen Filme allein ihre Kosten einzuspielen brauchen, hatte sich bereits vor „Star Wars“ angedeutet – durch Filme wie „Der Pate“ (1972), „Höllenfahrt der Poseidon“ (1972) und „Der weiße Hai“ (1975). The Cinema of Attractions: Ein Grund für den Trend zu diesen wenigen, ein möglichst breites Publikum durch eine Maximierung des Schauwerts ansprechenden Filmen lag in der Hollywood-Krise zwischen 1969 und 1971. „Die Filmindustrie steckte so tief in der Scheiße wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte.“ [4]
Ende der 70er-Jahre wurde unübersehbar, dass mit einem einzigen, Zielgruppen übergreifenden Film mehr Profit zu machen war als mit einer ganzen Studio-Jahresproduktion. [5]Und hier war es tatsächlich George Lucas, der – es lebe cross-marketing und shareability – die Eroberung anderer Märkte vorexerzierte. Bei „Star Wars“ verzichtete der damals 32-Jährige auf einen Teil seines Honorars und bekam dafür von der 20th Century Fox die Rechte für alle folgenden Episoden und das damals für unerheblich befundene Merchandising.
Zwanzig Jahre nach dem Start des ersten Films sollten die Fans insgesamt 1,3 Milliarden Dollar für Kinokarten der ersten „Star Wars“-Trilogie ausgegeben haben und noch einmal vier Milliarden für die flankierende Produktpalette. Allein für die Rechte an der Spielzeugfigurenproduktion zu „Episode 1“ zahlte der Konzern Haspro 1999 ganze 610 Millionen Dollar; ein sechsfaches der Herstellungskosten des Films, der mit Jar Jar Binks prompt die kinderzimmerkompatibelste Figur der ganzen Saga lieferte. Toys are mine.
Nicht wenige behaupten darum, der Erfolg von Lucas habe das amerikanische Kino schlicht ruiniert. „Die Folgen von ‚Star Wars‘“, bilanziert William Friedkin 1996, „waren so ähnlich wie die des Durchbruchs von McDonald’s: Der Geschmack für gutes Essen ging einfach verloren. Wir befinden uns in einer Phase der Degeneration.“ „Sie dominieren das Filmbusiness“, erklärt Martin Scorsese 1997 die dunkle Macht der Blockbuster à la „Star Wars“. „Wer einen Film mit einer Aussage drehen möchte, muss diesen Film für 50 Millionen machen. Sie ersticken alles.“ Und Robert Altman spricht schlicht vom „Tod des Kinos“: „Das Filmbusiness ist zu einem riesigen Vergnügungspark geworden.“ [6]
Natürlich stimmt diese kulturpessimistische Verallgemeinerung so nicht. Aber Altmans drastische Rede vom Vergnügungspark ist zumindest für die Situation oder: das Dilemma der (Film-)Kritik ganz passend. Wenn ein Produkt wie „Episode 2“ qua Merchandising- und Hysterie-Apparat zu Zeiten multinationaler Kooperationen mehr ist und sein muss als ein Kinofilm, muss auch die Kritik darauf reagieren. Vielleicht kann sie hier nur als Ereigniskritik funktionieren – und genau dazu wird sie ja auch durch die ausbleibenden Pressevorführungen verdammt. [7]Äußerst Dünnes Eis also in Sachen der freiwilligen Unknechtschaft.
Für die Filmindustrie aber will George Lucas die Kollegenschelte nicht gelten lassen. Er führt dagegen „eine bestimmte Ökologie“ an, denn „man braucht Filme, die einen Haufen Geld machen, um die Filme finanzieren zu können, die kein Geld machen“. Allein die Leinwandrealität dieser „Ökologie“ aber sieht schon insofern komplett anders aus, als die marktübergreifenden Jointventures wie „Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“ und auch „Star Wars“ dank monopolistischer Verleihpolitik schlicht die Kinos blockieren. Unabhängig vom Publikumszuspruch musste zum Beispiel jede einzelne Kopie des über zweieinhalbstündigen „Harry Potter“ dreimal täglich gespielt werden. Und wer „Episode 1“ in Deutschland aufführen wollte, musste sich auf Gedeih und Verderb dazu verpflichten, den Streifen unabhängig von den Besucherzahlen mindestens acht Wochen im größten Saal laufen zu lassen oder stattdessen erhöhte Leihmieten zu zahlen.
Von der Warte einer Ereigniskritik aus haben schließlich sowohl George Lucas als auch die klagenden Kollegen Altman, Scorsese & Co Recht. Indem Blockbuster wie „Episode 1“ und der kommende „Episode 2: Angriff der Klonkrieger“ die Leinwandexistenz anderer Filme verhindern, ruinieren sie das amerikanische Filmbusiness und erfüllen auf ihre Art zugleich seinen Sinn: das Erwirtschaften größtmöglicher Gewinne. Sie sind so etwas wie die gewachsene, „natürliche“ und brutale Gestalt der Filmindustrie im Zeitalter des Spätkapitalismus. An dieser Form des Kinos Kritik zu üben, ist nicht denkbar ohne eine Kritik der ökonomischen Verhältnisse, in denen wir selbst funktionieren. Die Kunst, „nicht dermaßen regiert zu werden“, müsste darum auch davon handeln, dass und wie wir an dieser Regierung beteiligt sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen