: Der allein ins Kino geht
Richard Prince sucht nicht klassische Autorenschaft, aber doch künstlerische Autonomie: Nun zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg seine Werkschau „Principal, Gemälde und Fotografien 1977–2001“
von BRIGITTE WERNEBURG
„Woran merkst du, dass deine Frau tot ist? – Der Sex ist der gleiche, aber in der Küche stapelt sich das Geschirr.“ Oder: „… – Wie sie morgens aussieht. Läuft dem Müllmann hinterher und fragt, ob sie zu spät dran ist, für den Müll. – Sagt er: Nein, springen Sie rein.“ Über die Jokes, die der Künstler sammelte, um sie in seine Gemälde einzuarbeiten, möchte man gerne großzügig hinwegsehen. Und doch stößt man auf sie als Erstes, betritt man die große Ausstellungshalle im Kunstmuseum Wolfsburg, wo zurzeit „Richard Prince, Principal, Gemälde und Fotografien 1977–2001“ läuft. Die Großformate hängen nämlich an den Außenwänden der vier geräumigen, weißen Kuben, mit denen Kurator Veit Görner die Halle strukturierte und die in ihrem Innern Richard Prince' Fotografien von Cowboys und Bikerbräuten beherbergen.
Bekanntlich hat der Künstler diese Fotografien nicht selbst inszeniert: „Make it again“ war sein Motto, als er in den frühen Achtzigerjahren beim Ausschnittdienst von Time Life arbeitete und immer wieder die aller Artikel beraubten Hefte betrachtete, wobei ihm der Gedanke kam, die übrig gebliebene Werbung abzufotografieren beziehungsweise wiederzufotografieren, was seinen Begriff der „rephotography“ genauer wiedergibt: „Untitled (living rooms)“, „Untitled (cigarettes)“, „Untitled (fainted)“, „Untitled (three hands with watches)“ oder „Untitled (three women looking in the same direction)“ nannte er die Fotoserien, die so entstanden. Ein Zug zur Systematik ist unverkennbar. Und unverkennbar ist auch seine Obsession mit dem Warenfetisch. In der seriellen Reihung, der Auswahl und dem Ausschnitt der Bilder werden die Luxusarmbanduhren, die teuren Zigaretten, die schimmernden Logos nicht minder teurer Spirituosen und last, not least die teuren Frauen und eleganten Männer noch einmal fetischisiert. Die refotografierten Konsumgüter bekommen bei Richard Prince neuen Sexappeal, und sie erscheinen weniger konservativ als in ihrem Ursprungszusammenhang.
Das wird auch in der „Cowboys“-Serie sichtbar, die Richard Prince Anfang der Achtzigerjahre weithin bekannt machte. Für diesen Zyklus fotografierte er die Marlboro-Reklame ab, ohne freilich jemals das Logo zu zeigen – was der Wiedererkennbarkeit der Bildmotive allerdings keinerlei Abbruch tat. Durch die Ausschnitte, die Unschärfen, Rasterungen, Farbveränderungen und Vergrößerungen (zuletzt in Riesendimensionen à la Gursky) wirken Richard Prince' Cowboys deutlich von ihrer Vorlage abgekoppelt. Geradezu ursprungslos existent, erscheinen sie als mythologische Motive, ihrem Status der Kopie völlig entwachsen. Gleichzeitig entsteht aber der Eindruck, als ob das Original der Marlboro-Reklame erst durch Richard Prince’ Raubzug zu seiner wahren Größe gelangt sei. Erst nach Prince' „rephotographies“, so meint man, kann der lange nur als antiquierter Fünfzigerjahre-Trash wahrgenommene Marlboro-Cowboy Kultstatus erreicht haben. Die methodische Stringenz, mit der Prince seine zwar minimalen, aber sehr bewusst getroffenen refotografischen Verschiebungen zum Original realisiert, ist am Ende als Überhöhung zu erkennen. Paradoxerweise aber fällt sie eher auf das Original zurück als auf seine Arbeiten, deren popauratische Aufladung recht gering ist.
Gegen Pop steht eben, was im Englischen vernacular heißt. Gegen Pop und die mit ihm untrennbar verbundene Medien- und Unterhaltungsindustrie steht die Alltagskultur. Auch sie ist nicht frei von Verbindungen zur Glamourindustrie, doch die Kopplung ist lockerer, und die Erscheinungen der Alltagskultur sind allemal schäbiger als die des Pop. Doch genau in diese Richtung zielen Richard Prince' ästhetische Untersuchungen. Alltagskultur sind etwa die faden, altmodischen Jokes und die anachronistischen Karikaturen, die er im Siebdruckverfahren in seine Gemälde collagiert, wobei sofort auffällt, dass man diese Witzzeichnungen bis auf den heutigen Tag im New Yorker, dem Lieblingsblatt aller intellektuellen Stadtneurotiker, bestaunen kann. Zur Alltagskultur zählen die Fanzines unterschiedlichster Machart, wie etwa die der Bikerszene, aus denen Prince seine Serien „Girlfriends“ – Tittenchicks auf heißen Öfen – destillierte. Und very vernacular sind auch die aufgeschnittenen Lastwagenreifen, die die Leute am Land als Blumenkübel benutzen und die der Künstler abgoss, um sie in Wolfsburg als quietschbunte Skulpturen zu präsentieren. Es ist tatsächlich die gewöhnliche Seite der Massenkultur, die Richard Prince findet – und mit seinen Jokes so re-provozierend in die edle Oberfläche der monochromen Leinwand der Moderne setzt.
„Seine Wünsche stammten kaum von ihm selbst, denn was in ihm zum Ausdruck kam, das gab es längst“, zitiert die schmale Textbroschüre zum zweiteiligen Künstlerbuch, das als Katalog zur Ausstellung erschien, aus Richard Prince' 1982 publizierter Erzählung „Why I Go To The Movies Alone“: „Seine Art, etwas neu zu machen, war, etwas noch einmal zu machen, und etwas noch einmal zu machen reichte ihm, und ehrlich gesagt, das war er, fast.“ Diese Aussage kennzeichnet Richard Prince' Stellung innerhalb der so genannten „Pictures Generation“, zu der unter anderen Appropriationskünstler wie Sherrie Levine, Robert Longo, Haim Steinbach oder Barbara Kruger zählen – wobei es die 1977 von Douglas Crimp im alternativen Artists Space in New York kuratierte Gruppenausstellung „Pictures“ war, die ihr den Namen gab. Wenn die anderen die Werbung und die Kunstgeschichte plünderten, um im Bekannten die ungeahnten Reserven für den kritischen Geschlechter- und Machtdiskurs zu entdecken, dann reichte es Prince zu recyclen. Denn darin lag für ihn die längst geahnte mächtige Reserve aller Alltagskultur: der Kreislauf der immer gleichen Witze und Bilder. Und wenn ihn dabei die Originalität der Autorenschaft nicht mehr weiter scherte, künstlerische Autonomie interessierte ihn sehr wohl. Sie ist es, die hinter dem „… das war er, fast“ steckt. Das Recycling der Bilder räumt für Richard Prince also erst das ideologisch hoch besetzte Feld der Malerei frei, in dem er nun seinen Standort zu bestimmen sucht.
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