: Im Sturmlauf nach Hause geschunkelt
■ Die Toten Hosen basteln in der voll besetzten Stadthalle aus Fußball und Punk-Rock eine Überholspur für alle
Eigentlich hätten sie einen Grill mit auf die Bühne stellen sollen. Einen, der gerade ausraucht und neben dem sich die Pappteller mit Kotelett-Resten stapeln. Dazu einen ausgelöffelten Eimer Kartoffelsalat und – natürlich – lange Meter leer gesoffenes Dosenbier. Das hätte viel besser gepasst als die Video- beam-Projektionen im Hintergrund.
Andererseits wäre das Grillfest als Kulisse zu kleinteilig gewesen. Die voll besetzte Stadthalle ist kein Ort für Details, außerdem ist mit einer alkoholisch eingeschränkten Sehfähigkeit zu rechnen. Es sind tausende Kehlen, die nicht nur nehmen, sondern auch geben. Zum Beispiel: „ÄÄÄÄeeeeey – Hier kommt Alex!“ Ein kleines bisschen Horrorshow, nicht nur drinnen in der Halle, auch im Vorraum bei den Stehtischen. Hosen-Fans grölen selbst dann noch, wenn sie sich ausruhen.
Wenn sie sich nicht ausruhen, dann rocken sie. Schwitzen kräftig Bier aus zu „Kein Alkohol ist keine Lösung“. Lassen sich über den Köpfen der Masse durchreichen bis zu dem Graben vor der Bühne, wo freundliche Ordner warten. Waschen im Klo die blutig gepogte Nase. Die Toten Hosen haben ihre Konzertreise als „Auswärtsspiel“-Tour deklariert. Aber das stimmt nicht. Es ist ein Heimspiel.
Ein Heimspiel wie überall, denn Campino und Kollegen haben sich etwas einfallen lassen: Ihren Bandnamen haben sie auf Fußball-Trikots gedruckt und auf Schals, die sich die Fans ums Handgelenk binden. Dazu haben sie Mitschunkel-Punk entworfen mit Zeilen wie „Ich würde nie zum F.C. Bayern gehen“ und Campino schreit in die Halle: „Es gibt keine andere Stadt, in der dieses Lied mit solcher Inbrunst gesungen wird wie hier.“ Die Hosen kombinieren Fußball und Punk-Rock auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Da kann nichts schief gehen.
Zumal die Mannschaft einen Sturmlauf inszeniert: immer Bewegung auf der Bühne, immer entweder Springen oder Laufen. Gut, dass es Funkmikrophone und kabellose Tonabnehmer gibt. Bei Stillstand kommt dann ein Fuß auf die Monitorbox, die Gitarre wird in Anschlag gebracht, der Körper nach vorne gebogen: permanente Offensive. Auch das Stage-Diving übernehmen die Hosen selbst, sie kommen zu den Fans, nicht die Fans zu ihnen. Gegen Ende stürzt sich Campino sogar von der Stadthallen-Ballustrade. „Scheiße“, wird er sich gedacht haben. Im Juni wird er 40 und vor zwei Jahren gab's bei „Rock am Ring“ einen Kreuzbandriss.
Viel hat die Band dem neuen Schlagzeuger Vom zu verdanken, der das hat, was (über-)lebenswichtig ist für den Punk-Rock: die dauerhafte Begeisterung für das Schlichte. Vom ist glücklich, wenn er immer auf die Eins hauen darf. Da reicht es, wenn die Kollegen einigermaßen mitspielen und ansonsten springen und laufen.
Die Toten Hosen leugnen nicht, dass sie älter geworden sind: Zur Nostalgie-Hmymne „Wort zum Sonntag“ projizieren sie Bilder aus frühen Tagen auf die Videoleinwand. Gleichzeitig verkörpern sie strikt das Prinzip „Einmal Punk, immer Punk“. Es ist eine Glaubwürdigkeits-Rosskur, der Versuch, Fans zwischen 14 und 54 ins Leben auf der Überholspur als Zustand zu integrieren. Klar, dass Campino privat längst Joggen geht und Tee trinkt.
Und dass er sich behilft mit kräftigen Komplimenten an die Fans: „Es gehört zu den unumstößlichen Tatsachen, dass wir vor über zwanzig Jahren unser erstes Konzert hier in Bremen gegeben haben, im Schlachthof. 25 zahlende Gäste haben uns ermutigt weiterzumachen. Danke, danke dafür!“
Bitteschön. Dafür gibt es ja jetzt auch Hosen-Hits für alle aus zwei Jahrzehnten. Und am Ende lässt sich die Steigerung nur noch physisch umsetzen: Campino klettert das Bühnengestänge hoch und entzündet oben unter der Hallendecke ein Leuchtfeuer. Danach singen alle „Bier – Korn – Schnaps und Wein“ und Campino schreit den Fans zu: „Dieser Song soll bleiben, wenn die ,Hosen' mal verätzt sind.“ Das dürfte klappen. Darauf können sich selbst die Fans des F.C. Bayern einigen. Klaus Irler
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