press-schlag
: Roter Stern Bremen ist Deutscher Fußballmeister

Einwurf aus dem Anstoßkreis

Alternativfußball, das ist, wenn die Ersatzspieler eines Teams ihren Torwart nach dem gelungenen Einfangen einer Flanke mit dem Chorus „Toni, Toni, Fußballschrott“ anfeuern. Wenn es Einwurf am Mittelkreis gibt, weil man für Zuschauer und Reservisten zwecks Regenschutzes dort einen Baldachin errichtet und den Bereich kurzerhand zu „Aus“ erklärt hat. Wenn jedes Päuschen zu ein paar hastigen Zügen an der Kippe genutzt wird, bevor es wieder ins Getümmel geht. Alternativfußball, das ist auch, wenn sich plötzlich im Finale die ältesten Traditionsvereine gegenüberstehen, so, als würden im Bundesligaendspurt auf einmal der VfB Leipzig und Phönix Karlsruhe um den Titel ringen – in Urbesetzung, versteht sich.

Zum 16. Mal wurde an Pfingsten die Deutsche Fußball Alternativ Meisterschaft (DAM) ausgespielt und endlich ging dank des Einsatzes der Roten Hosen Ost-Berlin ein alter Traum der freiheitlich-ausgelassensten Kickerbewegung der Welt in Erfüllung. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, hatte es seit den frühen Neunzigerjahren bei jeder Siegerehrung nachdrücklich, aber vergeblich geheißen.

Waren in den letzten Jahren gewisse Signale des Umbruchs im Alternativfußball zu spüren gewesen, stand diese DAM wieder ganz im Zeichen der Tradition. Gleich zwei Mannschaften feiern 2002 ihr 20-jähriges Jubiläum, Partisan Eifelstraße aus Aachen, als einzige Mannschaft bei allen 16 Meisterschaften vertreten, und Dynamo Windrad aus Kassel, in den 80er-Jahren vor allem durch den ausdauernden Streit mit dem DFB über die Zulässigkeit des Vereinsnamens zu Berühmtheit gelangt. Wie in jedem WM-Jahr veranstaltet Dynamo Ende Juni seine Bolz-WM, Bewerbungen interessierter Teams werden noch entgegengenommen (Informationen auf der Website www.dynamo-windrad.de). In Berlin belegten die Windräder einen honorigen 13. Rang.

Dass ausgerechnet der Rote Stern Bremen, das älteste aller Teams und in der Vergangenheit zwar durch hohe Sympathiewerte, aber nicht unbedingt sportliche Triumphe aufgefallen, im 28. Jahr seines Bestehens den Titel holte, darf getrost als die Sensation des Berliner Turniers betrachtet werden. Kaum minder sensationell mutete die Identität des zweiten Finalisten an: Petermann Stadtgarten, zweifacher Champion aus grauer Urzeit (88/89), traditionell die Snobisten des Alternativfußballs. Schon früh dadurch auffällig geworden, dass sie in schicken Hotels statt in schnöden Zelten übernachteten, wurden die Kölner diesmal Opfer des eigenen mit Selbstunterschätzung gepaarten Dranges nach Luxus. Ihren Rückflug (sic!) hatten sie so früh gebucht, dass er mit dem Endspiel kollidierte. Doch anstatt trotzdem stilvoll zu entfleuchen, buchten die Petermänner voller Erfolgsgier um und wurden prompt mit einer Portion Schalke-Feeling belohnt. Bis wenige Sekunden vor Schluss durften sie sich gegen Roter Stern als Meister fühlen, dann fiel der Ausgleich, es folgte der mit einem wuchtigen Schuss in den Himmel von Weißensee eingeleitete und von „Es gibt nur ein Uli Hoeneß“-Sprechchören begleitete Absturz im Elfmeterschießen.

Für beträchtliches Aufsehen sorgte der vierte Platz der alternativfußballigsten Zeitung Deutschlands. Ermöglicht wurde das phänomenale Comeback der taz nach dreijähriger DAM-Abstinenz durch eine Fusion mit den „hohl pfeifenden Asthmatikern“ vom Friedrichshainer Team „Schwarze Lunge“, das der Mannschaft nicht nur die zweite Luft, sondern eine nie gesehene Stabilität in der Abwehr verlieh. Die für Gegentorschützen ausgelobten ©Tom-Tassen mussten erst im Spiel um Platz drei gegen die Piranhas locker gemacht werden – da allerdings gleich vier Stück.

Ein erfolgreiches Turnier spielte wie immer Partisan Dieter Becker, der einzige Spieler, der bei allen 16. Meisterschaften dabei war. Immerhin erfolgreiche 15 Sekunden absolvierte die freischaffende Fußball-Legende Vialli, der Mann mit den meisten Einsätzen. Verletzt angereist, schlug er eine Flanke, raunte: „Es geht nicht“, und ließ es für diesmal sein. Gewohnt sangesfreudig, vom Dauerregen des zweiten Tages ungetrübt und mit freudigen „Ost-Berlin“-Rufen garniert, verlief die Siegerehrung. Abschließendes Fazit eines weiblichen Turniergastes: „Scheißwetter, Scheißspiel, stinkende, besoffene Männer. Mir reicht’s jetzt.“

MATTI LIESKE

1. Roter Stern Bremen; 2. Petermann Stadtgarten Köln; 3. Piranhas Regensburg; 4. taz/Schwarze Lunge Berlin; 5. Balltänzer Bielefeld; 6. Senile kickt Aachen; 7. Partisan Eifelstraße Aachen; 8. Söhne der Mutter Kassel; 9. SEK macht Durchzug Freiburg; 10. Rote Beete Hamburg; 11. Rote Hosen Berlin; 12. Roter Stern Sowiso Aachen; 13. Dynamo Windrad Kassel; 14. Betong Union Köln; 15. Kick and Rush Orchestra Oldenburg; 16. Kurzschluss Osram Heynckes Freiburg; 17. Vorwärts Bethlehem Freiburg; 18. Stahl Eisen Bremen; 19. Begnadigte Körper Alhambra Oldenburg; 20. Torpedo Kuschelweich Berlin; 21. Herbergers Enkel – Die Unabsteigbaren Berlin; 22. Aus der Tiefe der Mutter Rinteln; 23. Grashoppers Wasserturm Osnabrück; 24. Pelmke All Stars Hagen