: Isoliert, aber unabhängig
Mit Osttimor ist auch die Enklave Oecussi in Westtimor unabhängig geworden. Sie erhält einen Autonomiestatus. Über einen Landkorridor zwischen den beiden Gebieten des neuen Staates gibt es noch Streit mit der indonesischen Regierung
aus Oecussi JÖRG MEIER
Als internationale Friedenstruppen im September 1999 in Osttimor landeten, um den Terror des indonesischen Militärs und seiner Milizen zu beenden, vergaßen sie Oecussi. Das einstige Verwaltungszentrum der Portugiesen in Timor, heute eine Enklave im indonesischen Westtimor, wurde zum Sammelpunkt vieler Milizen, die nach dem Eintreffen der Friedenstruppe dorthin aus anderen Landesteilen flohen. In der Enklave konnten sie ihren Rachegelüsten freien Lauf zu lassen und sich austoben – bis der 16-jährige Lefo Hilfe holte. Mit einem in seinen Sandalen versteckten Brief marschierte er 130 Kilometer zur Hauptgrenze zwischem Ost- und Westtimor, schlich an Indonesiens Truppen vorbei und bat um die Unterstützung der Friedenstruppe.
Als diese dann über einen Monat nach ihrer Ankunft in Dili endlich in Pante Macassar, der Hauptstadt der Enklave, eintrafen, fanden sie eine Geisterstadt vor. Nahezu jedes Haus und selbst entlegene Dörfer waren niedergebrannt. Nur wenige der 57.000 Bewohner Oecussis verharrten im Territorium, die meisten wurden nach Westtimor vertrieben. Einige hundert fielen dem Terror zum Opfer.
Auch Jose Hermenegildo da Costa, das traditionelle Oberhaupt der Enklave, war in die westtimoresische Hauptstadt Kupang geflohen. Von schwerer Krankheit gezeichnet erzählte er: „Seit die Indonesier 1975 eindrangen, bin ich der meisten meiner traditionellen Funktionen als König von Oecussi beraubt worden. Ich habe ihr System nie verstanden. Nun, da wir frei sind, ist alles zerstört, aber ich hoffe bald zurückkehren zu können, um auf meinem Land zu sterben.“ Wenige Tage später verstarb er in Kupang.
Noch heute erzählt man die Geschichte von Lefo, dem Befreier Oecussis, und feiert – obwohl durch einen Streifen indonesischen Westtimors getrennt – die Unabhängigkeit. Dass Oecussi ein fester Bestandteil des unabhängigen Osttimors ist, hat geschichtliche Gründe. Als die Portugiesen im 17. Jahrhundert Timor eroberten, war ihr Verwaltungssitz Lifau, heute ein kleines Dorf in Oecussi. Später gewannen jedoch die Niederländer an Boden und beanspruchten den Westteil Timors. Als die portugiesische Administration sich 1769 nach Dili zurückzog, kam es zu Machtkämpfen. Die Eurasier verteidigten Oecussi als ihr Territorium. 1859 begannen offizielle Grenzverhandlungen und die Eurasier Oecussis entschieden, unter portugiesischer Krone zu verbleiben. Auch 1999 stimmte eine überwältigende Mehrheit der Bewohner Oecussis für die Unabhängigkeit Osttimors und nahm die Konsequenz der Isolation in Kauf.
In den ersten Monaten nach dem Referendum war die Versorgung äußerst schwierig, erst später eröffneten zähe Verhandlungen den Bewohnern der Enklave einen Zugang nach Westtimor. Fernando Mak, ein chinesischer Geschäftsmann aus Oecussi, sagt: „Heute läuft ein Großteil des Handels über Westtimor. Wir müssen zwar Steuern zahlen und das Militär bestechen, aber das ist einfacher und billiger als die Waren aus Dili heranzuschaffen.“ Über einen Landkorridor wird seit über zwei Jahren verhandelt. Indonesien beharrt darauf, dass auf seinem Territorium nur indonesische Busse eingesetzt werden, Osttimor will eigenen Busse schicken.
Doch Fragen der Identität und politischer Führung scheinen geklärt. Als der Unabhängigkeitskämpfer Xanana Gusmão im April im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes auftrat, kam ein alter Mann und sagte: „Xanana, wir kennen nur dich, du bist unser Präsident und wir werden dich wählen, selbst wenn wir mit dem Tod bezahlen müssen.“ Später stimmten hier über 90 Prozent für Gusmão.
Mit der gestrigen Unabhängigkeit erhält Oecussi einen Autonomiestatus, der weit reichende Entscheidungsgewalt in ökonomischen und politischen Fragen sichern soll. Antonio Hermenegildo da Costa, der Sohn des verstorbenen Königs, meint: „Wir haben sicherlich viele Probleme, die die Menschen in anderen Teilen Osttimors nicht haben, und nur wenige hier sprechen die gleiche Sprache wie in anderen Landesteilen. Aber wir werden hart arbeiten, um unsere unabhängige Zukunft zu meistern. Wir sind Osttimoresen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen