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Immer die gleichen Faxen

Mittlerweile kennen ihn auch deutsche Zahnarzthelferinnen und französische Wirtschaftsingenieure: Der Berliner Exilkanadier und Totalentertainer Gonzales ist mit dem Album „Presidential Suite“ vom Prankster zum überlebensgroßen Popstar mutiert

In klassischer Kinski-Wutausbruch-Manier schmeißt er Stühle gegen die WandAlles, was Gonzales von sich erzählt, ist nichts als die reine Wahrheit, also Lüge

von ANDREAS HARTMANN

Voll war er, übervoll, der Laden, für den man immer noch keinen besseren Namen als „Ex-WMF“ gefunden hat. Sie wollten ihn alle sehen: Gonzales, das Phänomen, das Entertainmentwunder, den Show-Prankster, den offiziellen, wenn auch selbst ernannten Präsidenten des Berliner Undergrounds, den Mann mit den drei Eiern. Lange Zeit war es eher so, dass Gonzales, der Exilkanadier, in Frankreich oder England als schmuddelig-cooles Aushängeschild des Berlin-Trashs kreischende Fans um sich scharte, während er in Prenzlauer Berg und Mitte unerkannt zwischen Konnopke und Tacheles umherschlurfen konnte.

Doch seit seiner dritten Platte „Presidential Suite“ kennen auch deutsche Zahnarzthelferinnen und BWL-Studenten ohne ausgeprägten Musikgeschmack nicht nur Blumfeld, sondern auch Gonzales. Denn obwohl eigentlich längst alles über die Selbstinszenierungsmaschine gesagt zu sein schien, wurde die eher flaue letzte Platte nochmals zum Anlass genommen, Gonzales, das Phänomen, akribisch in Stadtzeitungen und Musikzeitschriften zu durchleuchten. Um den Journalisten eine erneute Audienz mit Gonzales schmackhaft zu machen, dachte sich seine Plattenfirma mal wieder etwas Besonderes aus. Der amtierende „Präsident“ Gonzales empfing in der Suite eines Sterne-Hotels in Charlottenburg. Zumindest am ersten Tag seiner Promotion-Aktivität in Berlin. Am zweiten lud Gonzales dann in das in unmittelbarer Nähe zum Hotel gelegene Steinway-Haus. Dort wurde man dann von einem gewohnt smarten und immer kalkuliert undurchsichtigen Gonzales empfangen, der bereits an einem Flügel des Flügelzimmers saß.

Und schon ging sie los, die Show. Jede Geste, jedes Wort: Show. Was im Endeffekt aufregend war, weil eben doch mal anders. Aber auch ermüdend. Wer auch nur ansatzweise versucht, auf eine vernünftige Frage eine vernünftige Antwort zu bekommen, hat schon verloren.

Alles, was Gonzales von sich gibt, ist die Wahrheit, und das ist eine Lüge. Also lässt man es lieber bleiben, lehnt sich zurück und lässt ihn machen. Er hat seinen Spaß dabei, und man selber wird ja auch ganz gut unterhalten. „Soll ich auf dem Flügel etwas spielen? Irgendwas, du kannst dir etwas wünschen. Ich habe ja immer behauptet, ich wäre ein musikalisches Genie, das alles kann und alles nachspielen kann, was es nur ein einziges Mal gehört hat. Nun kannst du dir den Beweis einholen.“

O.K., also los: „Smells like teen spirit“ von Nirvana. Gonzo überlegt nicht lange und klimpert los. Und tatsächlich, seine Interpretation des Grunge-Klassikers ist einwandfrei. Er bildet die Dynamik und Dramatik des Stücks kongenial ab. Es fällt schwer, sich nicht von der spontanen Darbietung begeistern zu lassen.

Noch ein Stück. Gonzo ist sichtbar stolz auf sich selbst und will es jetzt wirklich wissen. „Back in Black“ von AC/DC wird verlangt. Den Stumpfrock-Klassiker für die schwarz-weiße Tastatur zu formatieren, geht dagegen völlig in die Hose. Das Genie scheitert. Vielleicht liegen Gonzo vor dem Steinway-Flügel und AC/DC doch zu weit auseinander. Spaßig bleibt es trotzdem.

Nach der offiziellen Begrüßung mit Wunschkonzert kommt der sinnlose Part, das Gespräch, das keines sein soll. Gonzo referiert nochmals das, was man eh schon weiß: dass über Musik zu reden ihn langweile, dass der Entertainer alles dürfe, außer zu langweilen, und dass er auch als Interviewter natürlich in die Rolle des Entertainers schlüpfen würde.

Nicht langweilig war Walt Disney, von dem er gerade eine Biografie liest, die ihn schwer beeindruckt, und nicht langweilig war auch Klaus Kinski. Ein Teil Kinski stecke auch in ihm selbst, sagt er, und schmeißt zum Beweis in klassischer Kinski-Wutausbruch-Manier einen Stuhl gegen die Wand, um sofort danach beichtvatersanft seine Gerede fortzuführen. Mäßig aufregend diese Performance. Wie viel Uhr ist es eigentlich? Vielleicht birgt so eine Privataudienz beim Showmaster, dieser Blick in sein Schminkzimmer, dieselbe Gefahr in sich, die sich beim Besuch auf einem Film-Set einstellen kann. Der Blick hinter die Kulissen zerstört den sich später einstellen müssenden Illusionseffekt und die Möglichkeit zur Vermittlung von authentischem Glamour. Man hat dann doch irgendwann die immer gleichen Faxen von Gonzales dicke. Vor allem dann, wenn man in anderen jounalistischen Selbsterfahrungsberichten mit Gonzales lesen muss, dass dieser mit irgendwelchen Stadtzeitungsschreibern ebenfalls eifrig die Flügel-Nummer abgezogen und über Walt Disney schwadroniert hat.

Wenn man ihn dann nochmals live auf der Bühne stehen sieht, mit all seine bunten Anzügen über dem Oberkörper mit dem mächtigen Brusthaar, wie er Sprüche klopft, sich immer wieder zwischen den gerappt-gesungenen Nummern zur Beatbox an den Flügel setzt, bleibt von dem Freakhaften, das sein Auftritt vermitteln soll, nicht mehr allzu viel übrig. Hier ist Arbeit spürbar und nicht gelebtes Leben, das für einen Augenblick auf die große Bühne verpflanzt wurde.

Gonzales ist Profi und das so sehr, dass er ob seiner Selbstverpflichtung, um wirklich jeden Preis zu entertainen, gar nicht mehr merkt, dass man seine vielen Zaubertricks längst durchschaut hat.

Gonzales: „Presidential Suite“ (Kitty Yo/Efa)

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