: Polizei an jeder Ecke
Das Viertel rund um den Pariser Platz ist eine Hochsicherheitszone. CIA wählt Bushs Speisen aus. Viele Geschäfte schließen, weil niemand hinkommen kann. Kioskhändler will Schadensersatz
von PLUTONIA PLARRE
Langsam, aber sicher zieht sich die Schlinge zu. Das beste Indiz dafür sind die rotweißen Absperrgitter, im Polizeijargon kurz ASG genannt. Tausende davon sind in den vergangenen Tagen am Pariser Platz, an Reichstag, Schloss Bellevue und Brandenburger Tor verschraubt worden. Spätestens heute Mittag um 13 Uhr schnappt die Falle zu. Dann geht im Regierungsviertel bis zur Abreise von US-Präsident George W. Bush am Donnerstagnachmittag gar nichts mehr.
Wenn nur alle die Sache so relaxt angingen, wie die vier BGS-Beamten, die gestern Nachmittag Unter den Linden eisleckend auf der Schaufel ihres Räumfahrzeuges saßen. Oder so wie die Nackten im Tiergarten, die unberührt von dem Polizeirummel ihr Sonnenbad nahmen. In Sicherheitskreisen wird das aber anders gesehen. Um jede auch nur denkbare Gefährdungslage zu verhindern, ist in Berlin ein beispielloses Polizeiaufgebot bereitgestellt worden. Neben 10.000 Polizisten sollen weit über 1.000 amerikanische und deutsche Geheimagenten ständig an den neuralgischen Punkten unterwegs sein und jede Ecke und jeden Winkel im Visier haben.
Straßengullys wurden verschweißt, Papierkörbe abmontiert, Autos abgeschleppt und Parkverbotsschilder aufgestellt. Die Restaurants und Kioske am Brandenburger Tor, wo Bush im Hotel Adlon residiert, müssen in den kommenden zwei Tagen mit einer Totalsperrung des Platzes leben. Totalsperrung heißt: null Kundschaft, null Umsatz. Kioskbesitzer Gerfried Lindner will das nicht hinnehmen und fordert stellvertretend für vier andere Geschäftsleute vom Senat einen Ausgleich für die Umsatzeinbußen. „Notfalls“, droht Lindner, „werde ich klagen.“
Der Wirt vom Restaurant Theodor Tucher neben dem Brandenburger Tor hingegen sieht den Präsidentenbesuch gelassen. Denn Bush und Schröder werden heute Abend im Tucher speisen. Seit das klar ist, steht das Restaurant unter ständiger Beobachtung von Angehörigen des CIA. „Sie sind sehr diskret“, sagt Geschäftsführer Deff Haupt. Sogar die Speiseauswahl werde „von einem Sicherheitsbeamten des Weißen Hauses“ getroffen.
Inwieweit die übrigen Geschäfte Unter den Linden zwischen Wilhelmstraße und Friedrichstraße von einer Sperrung betroffen sein werden, war gestern unklar. Ein diesbezügliches Schreiben der Polizei war so kryptisch gehalten, dass die Geschäftsleute nach wie vor im Dunkeln tappen. Der Besitzer der Galerie Unter den Linden ist nicht der Einzige, der den Laden bis Donnerstag zumachen wird. Das sei zwar schlecht fürs Geschäft, sagt Aliosha Dimitroff, verärgert sei er aber nicht. Mit Staatsbesuchen müsse man Unter den Linden nun mal leben. „Das wussten wir doch vorher.“
Zu den Kräften, die die Berliner Polizei von auswärts zur Unterstützung geholt hat, gehören auch vier Hundertschaften aus Wuppertal. Gestern waren sie für den Raumschutz im Tiergarten zuständig, heute und morgen werden sie rund um das Adlon eingesetzt sein. Nachdem er einmal 26 Stunden hintereinander beim Castor-Transport nach Gorleben Dienst geschoben habe, könne ihn nichts mehr schrecken, sagt ein Beamter. Bislang sei man mit dem Verlauf sehr zufrieden, bestätigt ein anderer. Im Gegensatz zu früher, wo man in Berlin in der Landespolizeischule provisorisch zwischen Schulbänken gebettet worden sei, sei die Unterkunft diesmal sehr gut. Aber nicht nur was ihr Quartier in Basdorf/Brandenburg angeht, liegen die Wuppertaler weit vorne. Statt – wie in der Vergangenheit üblich – über die schlechte Verpflegung in Berlin zu klagen, haben die vier Hundertschaften eigene Köche mitgebracht.
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