: Teamgeist beim Counterstrike
betr.: „Jugendbewegung auf dem Index“ von Tilman Baumgärtel, „Counterstrike jugendfrei“, taz vom 16. 5. und 17. 5. 02
Ich bin selber seit Jahren begeisterter Computerspieler und an der Organisation einiger LAN-Partys beteiligt – bei einigen sogar hauptverantwortlich. Es erfüllt mich mit Hoffnung, zu lesen, dass es doch noch objektiven Journalismus in diesem Land gibt. Denn nach den Artikeln und Fernseh-„Berichten“, die ich in den ersten Tagen/Wochen nach der fürchterlichen Katastrophe in Erfurt bezüglich Computerspielen ertragen musste, hatte ich schon jegliches Vertrauen darin verloren, und mir wurde bewusst, welche Macht die Medien haben.
Wenn sich selbst renommierte Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine auf das journalistisches Niveau einer Bild-Zeitung herablassen, ist es kein Wunder, dass diejenigen, die über kein Hintergrundwissen verfügen, diese Ansichten letztendlich annehmen. Sie haben durch ihre Macht auch eine unglaubliche Verantwortung – es ist schön zu sehen, dass Sie diese auch wahrnehmen.
Ich habe in den letzten zwei Jahren fast jede größere LAN-Party in Niedersachsen besucht und dabei festgestellt, dass diese nicht nur völlig gewaltfrei ablaufen, sondern dass man dort auch auf eine absolut freundschaftliche, teilweise sogar familiäre Atmosphäre trifft. Bei Interesse würde ich sie gerne zu einem der kommenden Projekte einladen, bei der ich an der Organisation beteiligt bin, sodass sie sich selber ein objektives Bild von dem Verlauf einer LAN-Party machen können. BEREND LAMPE, Lehrte-Arpke
Das war eine wunderbare Seite von Tilman Baumgärtel! Die geschürte Hysterie über angeblich gewaltfördernde Computerspiele ist alt: Wir kennen sie von vor gut zwanzig Jahren aus der Debatte über Horrorvideos. Nach ähnlichem Muster laufen die Diskussionen über Pornografie im Internet (und generell) ab. Sie dienen nur einem Zweck: unter der Hand das Instrumentarium für allgemeine Zensur zu schärfen. Am Ende wird eine Bundesprüfstelle einreiten, wenn ein Film über die Black Panther, den Widerstand der amerikanischen Soldaten gegen den Vietnamkrieg oder den der Palästinenser gegen ihre Besatzer gezeigt wird; und die Websites der Schwulen und Lesben werden geschlossen.
Gleichzeitig werden Gewaltfilme wie „Black Hawk Down“ mit ihren rassistischen Unter- und Obertönen, die allein zur Rechtfertigung der amerikanischen Kriegspolitik gedreht werden, ab 16 Jahre für die Breitleinwand freigegeben. Der Filmstart von „Black Hawk Down“ im Januar hatte ursprünglich mit dem nächsten US-Angriff auf Somalia zusammenfallen sollen.
Wer nach Kontrolle von oben ruft, wird Zensur bekommen.
MARIA NONNENKAMP, Berlin
Vielen Dank für die überlegten und hintergründigen Anmerkungen zur Debatte über Counterstrike. Ich habe in den letzten anderthalb Jahren meinen 15-jährigen Sohn und seinen Computer mehrfach zu LAN-Partys (übrigens oft in Jugendräumen kirchlicher Einrichtungen) gefahren, wo er gemeinsam mit vielen anderen ganze Wochenenden verbracht hat.
Beeindruckend waren dabei stets der große Teamgeist und selbstlose Einsatz, ohne den schon allein die logistische und technische Durchführung solcher Veranstaltungen im Vorfeld gescheitert wären, die starke und intensive Kommunikation der Teilnehmer, die weit über das Spielthema hinausging, der enorme Wissenstransfer in Computertechnik und Vernetzung, der permament stattfand, und das über allem stehende positive, freundschaftliche Gruppenerlebnis.
Neue und unerfahrene Spieler wurden sozial und problemlos integriert. Teilnehmern mit schlechterer oder defekter Computerausstattung wurde selbstverständlich jede Hilfe zuteil, bis jeder Rechner einsatzbereit und funktionsfähig war. Gewalt oder auch nur Streit konnte ich nie beobachten.
Über die Clane bildeten sich Freundschaften und Bekanntschaften, die dann beim Aufbau eigener Homepages und der Hilfestellung bei der Programmierung weiter ausgebaut wurden.
Diese Eindrücke stehen sicher im Gegensatz zu den Handlungsinhalten, um die es bei Counterstrike geht. Allerdings ist Counterstrike ja nur eines von vielen Medien, in denen Gewalt (oder die virtuelle Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Gewalt) Thema ist. In vielen der erfolgreichsten Hollywoodfilme kommen in zwei Stunden mehr fiktive Gestalten ums Leben, als es eine LAN-Party an einem Wochenende schaffen kann.
Ich will und kann diese Gewalt gegen fiktive Charaktere nicht verteidigen oder rechtfertigen, aber ich stelle mir auch die Frage, ob die spielerische Auseinandersetzung mit Gewaltsituationen nicht ein wichtiger Bestandteil des jugendlichen Reifeprozesses ist. Offenbar gibt es hier einen Bedarf an Auseinandersetzung mit solchen Konfliktsituationen. Solange dieses Sich-Auseinandersetzen mit Gut und Böse und Angriff und Verteidigung in ein höchst soziales, kommunikatives, hochkompliziertes, Wissen schaffendes Umfeld mit starkem und positivem Teamerlebnis eingekleidet ist, werde ich meinen Sohn auch weiterhin gerne zu LAN-Partys mit Counterstrike fahren.
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass in der Fassungslosigkeit über den Amoklauf von Erfurt und in der Suche nach schnellen Erklärungen die Politiker und Pädagogen mit Counterstrike einen billigen und einfachen Schuldigen gefunden haben. Eine tiefer gehende gesellschafts- und bildungspolitische Debatte wird so im Keim erstickt – denn wer will die überhaupt?
CHRISTIAN HEINISCH, Nürnberg
Ich hab gerade ihren Artikel „Counterstrike jugendfrei“ gelesen: sehr interessant! Als LAN-Party-Orga begrüße ich die Altersbeschränkung zu besagten LANPs. Ich finde, dass gerade Eltern nicht für diese Problematik sensibilisiert sind und eine Regelung auch den Konsum von Ego-Shootern am heimischen PC kanalisieren kann. Ich möchte dringend in unserer Gemeinde Aufklärungsarbeit zu diesem Thema machen und würde mich freuen, wenn Sie weitere Informationsquellen nennen könnten.
PETER ERTEL, Jugendarbeit der KG Am Lietzensee, Berlin
Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen