: Autos nicht für Arme
Die Rechtskoalition in Hamburg geht gegen angeblichen „Sozialmissbrauch“ vor. Wer Sozialhilfe bezieht und ein Auto besitzt, wird wegen Betrug angezeigt
HAMBURG taz ■ Die Landesgewerkschaft Ver.di hat vor kurzem die Liste der neun reichsten Hamburger veröffentlicht. Sie wollte damit den Senat auffordern, diese Leute über die Vermögenssteuer zur Sanierung des städtischen Haushalts heranzuziehen. Die neun Menschen mit dem Versandhauschef Werner Otto und Tchibo-Vorstand Michael Herz an der Spitze verfügen insgesamt über 26,6 Milliarden Euro – der gesamte Hamburger Jahreshaushalt beträgt 8,5 Milliarden Euro.
Der Senat des Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) schaut sich lieber nach anderen Geldquellen um. So hat die Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) jetzt angekündigt, Hamburg werde als erstes Bundesland flächendeckend überprüfen, ob Sozialhilfeempfänger berechtigt seien, ein Auto zu führen. Wer aus Sicht der Behörde zu Unrecht ein Auto hat, muss das Fahrzeug verkaufen, Sozialhilfe zurückzahlen und bekommt eine Anzeige wegen Sozialbetruges aufgebrummt.
Noch ist völlig unklar, wie viele der 133.000 Sozialhilfeempfänger in der Stadt davon betroffen sein könnten. Die Behörde pocht darauf, nach dem Bundessozialhilfegesetz gehöre der Besitz eines Wagens nicht zum notwendigen Lebensunterhalt. Ausnahmen beträfen Menschen mit Behinderungen oder Frauen mit kleinen Kindern. Bei Hilfeempfängern in den Hamburger Außenbezirken will die Behörde prüfen, „ob denen ein Umzug zuzumuten ist“. Die Kritiker von Gewerkschaft und Grün-Alternativer Liste GAL sprechen jetzt bereits von populistischer Stimmungsmache. Der Senat zieht damit seinen Kurs gegen „Sozialmissbrauch“ durch und setzt die harte Linie durch, die die Rechtskoalition aus CDU, Schill-Partei und FDP bei Regierungsantritt angekündigt hatte.
Auf einem anderen Politikfeld las es sich vor der Wahl allerdings anders: Mit den Wahlkampfthemen Bildung und innere Sicherheit hatten die heutigen Regierungsparteien im September 2001 gepunktet. Acht Monate später wurde nun bekannt, dass der Senat erhebliche Abstriche bei der Lehrerversorgung machen will. Statt mehr Lehrerstellen zu schaffen, wie vor der Wahl versprochen, sollen die Hamburger Pädagogen nun mehr unterrichten: In den kommenden zwei Jahren muss das Bildungsressort pro Jahr jeweils 12,9 Millionen Euro einsparen. Das geht vor allem auf Kosten der Gesamtschulen.
Die Opposition spricht genüsslich von „Wahlbetrug“, und Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) wirkt von der Empörung komplett überfordert, die ihm aus den Schulen entgegenschlägt. Den Ersten Bürgermeister ficht das alles nicht an: Ole von Beust hat nach den neuesten Sparbeschlüssen „herzlich alle eingeladen, dagegen zu demonstrieren“. Danach ist er erst einmal zu einem einwöchigen offiziellen Besuch nach China aufgebrochen. PETER AHRENS
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