: berliner szenen Serkan, Sabri und der Sex
Zeichenkritik
Mein Lieblingsgraffiti geht so: „Serkan + Sabri = Sex in Bett“. Es handelt sich also um eine mathematische Gleichung, die wohl in denunzierender Absicht an die Wand geschrieben wurde. Der zufällige Leser wird zum unfreiwilligen Zeugen. Irgendwie macht man sich lesend zum Komplizen des Schreibers, der das heimliche Tun von Serkan + Sabri der Öffentlichkeit zum Fraß vorwirft.
Gleichzeitig denkt man, dass Serkan und Sabri vermutlich 13 sind und an Sex noch gar nicht so genau denken. Ja, dass das gut auch der beste Freund, die beste Freundin von Serkan bzw. Sabri hingeschrieben haben könnten, aus Eifersucht wegen des befremdlichen Interesses, das der/die beste FreundIn plötzlich an sexuellen Dingen nimmt.
Die Botschaft lässt vermuten, dass der Schreiber noch nie Sex hatte. Darin liegt ihre sozusagen perfide Keuschheit, denn andererseits begab sich ja auch der Schreiber mit seinem Satz ins sexuelle Feld, machte sich zum Voyeur des Geschehens, von dem er berichtet. Dass die Botschaft fast versteckt ist, deutet darauf hin, dass dem Schreiber gar nicht so sehr daran gelegen ist, dass Serkan oder Sabri seinen Satz lesen. Andererseits könnte es auch sein, dass Serkan oder Sabri in dem Haus wohnen, an dem der Satz steht. – Aber dann hätten sie ihn doch beseitigt! – Vielleicht hat Serkan diesen Satz auch gelesen, ist rot geworden und wollte ihn erst wegmachen, dann aber war er auch ein bisschen stolz. Wie viele seiner Mitschüler konnten schon behaupten, Sex gehabt zu haben? Vermutlich haben nur wenige dieses Graffiti gelesen. Man sieht es nur, wenn man die Wände nach den Zeichen der Bewohner mit den Augen absucht. Dass über dem Graffiti noch „Samit + Jasmin = Sex“ steht, macht die Analyse nicht einfacher.
DETLEF KUHLBRODT
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