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Verschwende deine Wut

Zwei Seelen toben, ach, in seiner Brust: Alec Empire ist ein Schreihals aus der Krachmacherstraße und zugleich als Electronica-Bastler ein ganz einfühlsamer Knöpfchendreher. Seine neue Platte stellt der schwarz gekleidete Schmerzensmann heute vor

von THOMAS WINKLER

Der alte, ja nun wirklich vollkommen ausgelutschte Wilhelm-Busch-Spruch von der Musik, die oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden, war wohl selten wahrer als bei Atari Teenage Riot. Das elektronisch lärmende Berliner Kollektiv um seinen sich gern charismatisch gebenden Vordenker Alec Empire beeindruckte mit seinem aus den 80er-Jahren verlängerten und sorgsam kultivierten Image vom atonalen Terrorkommando allerdings vor allem Amerikaner und Japaner. So wurde die altbekannte Klage vom Propheten, der im eigenen Lande nichts gelte, schnell Teil des Spiels und Empires Umzug nach London unvermeidlich.

Nun ist der in Frohnau aufgewachsene Empire schon einige Zeit zurückgekehrt in seine Heimatstadt. Über die hat er aber in Interviews anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Solo-Albums „Intelligence and Sacrifice“ nichts Gutes zu vermelden. Langweilig sei sie und seit dem Mauerfall alles eh nur noch schlimmer geworden. Bei gleicher Gelegenheit ließ sich in Erfahrung bringen, dass Empire neuerdings in der Bibel liest, bevor er auf die Bühne geht. Die Heilige Schrift bringe ihn in Stimmung für die anschließende Trommelfellattacke.

Vielleicht liegt es ja an der neu entdeckten Spiritualität, dass auf „Intelligence and Sacrifice“ mehr Songstrukturen zu erkennen sind als früher und nicht mehr nur griffig abgegriffene Slogans herausgebrüllt werden, sondern Empire auch mal einen längeren Text grummelt. Man könnte es Death Metal nennen, und die gefährlich eingängige Single „Addicted To You“ erinnert gar an die Stooges und den flotten Industrial-Rock von Nine Inch Nails, ist aber immer noch weit genug vom modischen Schockertum eines Marylin Manson entfernt, um Empire die unverzichtbare Rebellenpose zu erhalten.

Auf der Bonus-CD tobt Empire dann die zweite Seele in seiner Brust rein instrumental aus: Dort findet sich solch feinsinniges Geknurpse und Gezirpe, als wolle er den in der Hauptstadt angehäuften Electronica-Bastlern Konkurrenz machen. Tatsächlich hat Empire schon Mitte der 90er mit „Low On Ice“ eine recht besinnliche Soloplatte vorgelegt und immer wieder auf Mille Plateaux veröffentlicht. Diese beiden Empires, der aus der Krachmacherstraße und der einfühlsame Knöpfchendreher, die gab es immer schon. Diesmal sind sie allerdings erstmals nicht durch unterschiedliche Projekte und Veröffentlichen getrennt.

Prinzipiell aber bleibt der stets ausschließlich schwarz gekleidete Schmerzensmann seiner angestammten Rolle treu. Immer noch lehnt er Alkohol, Drogen und Fastfood mit religiösem Eifer ab, um sich fit zu halten für seine akustischen Kreuzzüge, in denen er eine klassische Punk-Attitüde verknüpft mit antiken Erkenntnissen elektronischer Klangerzeugung. Das unvermeidliche Ergebnis ist auch auf „Intelligence and Sacrifice“ prügelnder Stumpfsinn („Path of Destruction“), klaustrophobische Raserei („Everything Starts With A Fuck“) oder kreischende Beklopptheit („Buried Alive“) und veranlasste das Avantgarde-Magazin The Wire dazu, Empire eine „ansteckende Albernheit“ zu bescheinigen.

Eins ist sicher: Man sollte das Zeug laut hören, sehr laut. Wenn das Hirn dann weich geklopft ist, lässt sich sogar das einfältige Politikverständnis ertragen, das sich meist darin erschöpft, Worte wie „Isolation“ oder „Zerstörung“ herauszubrüllen. Da mögen sich die Instrumentals noch so tapfer sperren gegen einen Missbrauch als Soundtapete, sie erreichen halt nie wirklich effektiv die einzige Qualität, wegen der man Empire wirklich zuhören sollte: schiere Wut zu formulieren mit halbwegs modernen klanglichen Mitteln.

Alec Empire: „Intelligence and Sacrifice“ (DHR/Zomba);live am 27. 5., 21 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9–11, Tempelhof

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