: Historische Perlen in der Landschaft
■ Das Bremer „Musikfest“ – regionalisiert und garantiert bis 2006 – bringt eine Sensation: Die wiedergefundene Matthäus-Passion von Carl Phillipp Emmanuel Bach
Das 13. Musikfest Bremen präsentiert sich dieses Jahr in einem neuen Outfit: Eine schwarz-rot geteilte Kugel markiert die Daten, und dann gibt es zu jedem Konzert eine eigene Bildidee. Viel Landschaft ist dabei enthalten, und damit ist auch schon die erste größere Veränderung in der Konzeption des Musikfestes genannt. Die ersten sechs Konzerte werden nicht in Bremen, sondern in Stade, Verden, Leer, Clemenswerth, Norden und Grasberg stattfinden.
Der Intendant des Musikfestes, Thomas Albert, will damit zweierlei: einmal die Grundidee des Musikfestes weiter in die Region verankern und zum zweiten sich bedanken für den Anteil von 80 Prozent an auswärtigen ZuhörerInnen, die aus diesem näheren Umland kommen.
Die InterpretInnen begrüßen das laut Albert, fühlen sich keineswegs in die Provinz verlagert – schließlich war Norddeutschland vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ein wichtiges musikalisches Zentrum Europas – vor allem mit seinen seit den sechziger Jahren von Harald Vogel restaurierten Orgeln, die weltberühmt sind. Albert: „Es gibt keinen Orgelprofessor in der Welt, der sich das nicht angehört hat.“
In Verden erklingt unter der Leitung von Ton Koopman eine Sensation: die 1740 geschriebene „Matthäus-Passion“ von Carl Philipp Emmanuel Bach, die zusammen mit vielen anderen Manuskripten vergangenes Jahr in Kiew gefunden und der Berliner Singakademie zurückgegeben wurde. Überhaupt weist das Programm wieder eine größere Stringenz der Konzeption auf: Perlen aus der historischen Aufführungspraxis.
So die „Bußpsalmen“ von Orlando die Lasso, die deutsche Erstaufführung der „Lamentationi Jeremiae Propheti“ des Monteverdi-Zeitgenossen Emilio di Cavalieri, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und auch sonst viel Feines: Andras Schiff spielt Kammermusik von Franz Schubert, Nikolaus Harnoncourt kommt mit den Wiener Philharmonikern, Marc Minkowski mit einer halbszenischen Aufführung von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare“, Letzteres im Musical-theater am Richtweg.
Und zum zehnten Bremen-Geburtstag der Deutschen Kammerphilharmonie erklingen alle Sinfonien von Johannes Brahms unter der Leitung von Daniel Harding.
Sogar das gestörte Verhältnis zwischen Philharmonischem Staatsorchester und dem Musikfest (wohl eher zwischen Günter Neuhold und Thomas Albert) könnte sich bessern: Von Neuholds Nachfolger Lawrence Renes ist Albert begeistert – und schon spielt das Staatsorchester als Renes' Einstand ein großes Konzert im Musikfest: die neunte Sinfonie von Gustav Mahler. Andererseits, wie jedes Jahr: absolute Fehlanzeige für zeitgenössische Musik – worüber einige Jazz-Konzerte nicht hinwegtrösten können.
Wie vergangenes Jahr wird als Einstand „die Stadt zum Klingen gebracht“ (Albert): Am ersten Abend finden an acht Spielstätten 24 Kurzkonzerte statt. Und nachdem letztes Jahr zu viele zwischendurch Hunger hatten, gibt es diesmal ein ausgefeiltes kulinarisches Konzept.
Die Finanzmittel sind mit insgesamt 2,3 Millionen Euro – jeweils ein Drittel öffentlicher Zuschuss, die Beiträge der 27 Sponsoren sowie die Einnahmen – im Vergleich zum Vorjahr (2,1 Millionen Euro) leicht gestiegen. Thomas Albert größte Freude geht wohl noch auf die Leistung der ausgeschiedenen Glocke-Chefin und Musikfest-Geschäftsführerin Ilona Schmiel zurück, die komissarisch von HVG-Prokurist Jörg Ehntholt vertreten wird: Erstmalig hat sich Wirtschaftssenator Josef Hattig auf eine jährliche Zuschuss-Garantie bis einschließlich 2006 festgelegt.
Andererseits wird das Musikfest dieses Jahr zum letzten Mal einen kompletten Monat dauern (31. August bis 1. Oktober). Ein Gutachten des Kulturmarktforschungsinstituts „Metrum“ hatte ergeben, dass das Festival in den Bereichen Planung, Controlling und programmatische Ausrichtung „verbesserungswürdig“ sei. Dazu gehöre die Straffung auf maximal 20 Tage.
Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen