: In der Gosse der Bosse
Unzählige junge afrikanische Fußballer träumen von einer Profikarriere in Westeuropa – Clubs und Spielervermittler vom schnellen Geld. Für die meisten Nachwuchskicker endet die Karriere im Nichts
von HEINZ ERDMANN und MARTIN SCHWARZ
Dass sich Fußball und Kriminalgeschichten nicht immer ausschließen, erfuhren Zuschauer der Jubiläumsfoge des „Tatort“ am Pfingstmontag. Im Mittelpunkt stand der fiktive Fußballclub FC Bremen. Einen Tag vor dem entscheidenden Spiel zum Aufstieg aus der Regionalliga wird der Trainer tot aufgefunden. Der erste Mordverdächtige ist Jesiah Kumono, ein schwarzer Starstürmer aus Ghana. Die einen nennen ihn „Bimbo“ und „Neger“, er selbst bedenkt die ihn verhörenden Polizisten mit dem Etikett „Nazis“.
Auch sonst tummelten sich allerhand düstere Gestalten in dem Fernsehkrimi. Da gibt es Spielervermittler, die imVerkauf junger Talente aus Sierra Leone das große Geld wittern, und Vereinsbosse in ständiger Panik vor der Steuerfahndung. So weit entfernt von der Wirklichkeit ist die „Tatort“-Fiktion nicht. Zumindest was den täglichen Umgang mit jungen afrikanischen Fußballtalenten in Europa betrifft.
Charles ist 22 und lebt derzeit in Belgien – von der Wohlfahrt. Der junge nigerianische Fußballer wurde vor knapp zweieinhalb Jahren auf Drängen eines belgischen Spielervermittlers nach Europa gebracht. Dieser versprach Charles den internationalen Durchbruch und das große Geld. Das Jungtalent – immerhin hatte Charles eine Nominierung für die nigerianische Nationalmannschaft vorzuweisen – war gutgläubig und bestieg hoffnungsvoll das Flugzeug. Bereits nach wenigen Wochen war der Traum für Charles ausgeträumt. Die Aufenthaltserlaubnis war nach drei Monaten abgelaufen. Weder der vermeintliche Manager noch ein Club wollten etwas von einem Vertrag wissen. Charles landete auf der Straße, ohne Geld, ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung und ohne Fußball zwischen den Beinen. Seine Geschichte ist nur ein Schicksal, das in der Dokumentation „Sold out – From Street to Stadium“ des austrobritischen Filmemachers John Buche erzählt wird.
Suche nach Diamanten
Mehr als ein Jahr lang recherchierte der Filmer in jenen Ländern, in denen das „schwarze Gold“ für europäische Vereine gefördert wird: in Ghana, Sierra Leone, Nigeria, Kamerun. Dort gibt es für viele Jungen nur einen Weg zu Ansehen und einem Mercedes-Benz: jenen über den Fußballplatz. Ganz gezielt halten sich in diesen Ländern Talentscouts auf, die im Auftrag europäischer Vereine nach „Rohdiamanten“ suchen. Mit ansehnlichem Erfolg: Nach Recherchen von John Buche warten allein in Italien rund 2.500 Spieler aus afrikanischen Staaten auf den Durchbruch und oft auch auf die Legalisierung durch die Behörden, in Belgien sind es 500, in der Türkei 200 bis 300 und in Deutschland ebenfalls mehrere hundert.
Belgien gilt aufgrund seiner liberalen Einwanderungsgesetze als Hauptdrehscheibe für den internationalen Menschenhandel. Das weiß auch der 16-jährige Monday Omo. Mit den ewig gleichen Versprechungen von Reichtum und Ruhm lockte der belgische Spielervermittler Bart Debryne das ghanaische Talent nach Gent. Nicht ohne vorher das Alter von Monday auf 18 Jahre zu korrigieren. So alt müssen afrikanische Spieler nach Fifa-Reglement für die Unterzeichnung eines Vertrages sein. Später kickte Monday 29 Spiele für einen Regionalclub. Geld gab es dafür keins. Schließlich erwachte Monday aus seinen Träumen – in einem Heim in Gent, das eigens zur Obhut minderjähriger gestrandeter afrikanischer Fußballtalente eingerichtet wurde.
„Nur 20 Prozent der Spielervermittler sind seriös“, sagt Franz Beckenbauer in „Sold out“. Nur in den seltensten Fällen gelingt die Traumkarriere in Europa. Einer, der es zweifellos geschafft hat, ist Samuel Kuffour. In seiner Jugend trat er für den ghanaischen Club King Faisal den Ball. Durch einen Spielervermittler landete er zunächst in Italien und wurde mit Bayern München Champions-League-Sieger. Noch heute zeugt der „Kuffour Express“ in Form eines klapprigen Spielerbusses vom „finanziellen Talent“ der King-Faisal-Clubführung. Der Bus wurde aus jenem Geld angeschafft, das aus dem Verkauf Kuffours eingenommen wurde. Heute beläuft sich Kuffours Marktwert auf mehrere Millionen Euro.
Afrikanische Spieler sind zweifellos zum Spekulationsobjekt europäischer Vereine geworden und unterscheiden sich nur in ihrer finanziellen Performance von einer gewöhnlichen Aktie. So haben viele europäische Vereine in Afrika eigene Fußballschulen errichtet, die natürlich in erster Linie die Beziehungen der jungen Spieler zum runden Leder optimieren, aber auch eine gewisse Allgemeinbildung garantieren. Eine dieser Schulen befindet sich an der ghanaischen Küste und wird vom niederländischen Erstligisten Feyenoord Rotterdam betrieben. Die Akademie bietet den Schülern ausgewogene Ernährung und auch eine Vorbereitung auf europäische Verhältnisse. So gibt es tagsüber afrikanisches Essen, abends jedoch auch europäische Gerichte wie Spagetti oder Pizza – damit der kleine Kicker weiß, wie man zwischen Turin und Amsterdam speist.
Neokoloniale Umtriebe
Rund 400.000 Euro kostet der Betrieb der Schule pro Jahr – ein zu vernachlässigendes Sümmchen, denn die Rechte an den Fußballkids behält Feyenoord natürlich. Wenn es auch nur einer der Zöglinge in einen europäischen Verein schafft, sind die Schulkosten für ein ganzes Jahr gedeckt. Fifa-Präsident Sepp Blatter, derzeit wegen nebulöser Finanztransaktionen in arger Bedrändnis, wird da politisch sehr korrekt: „Die haben die Rechte an den Spielern. Das könnte man auch Neokolonialismus oder Sklaverei nennen.“ Aber: Viel tut die Fifa nicht gegen die neokolonialen Umtriebe. „Die Fifa kann sich nicht um alle Details kümmern“, meint Beckenbauer im Film.
Tatsächlich hat der Fußball in Afrika koloniale Wurzeln: Die Kolonialherren, besonders die Briten, versuchten die Bevölkerung mit dem seltsamen Spiel vertraut zu machen. 1903 entstand an der ghanaischen Küste der erste afrikanische Fußballverein – natürlich unter kolonialer Führung und nicht ohne Hintergedanken. Immerhin glaubten die ehemaligen Kolonialherren den „neuen Mitbürgern“ mittels Teamsport westliche Werte wie Disziplin, Teamgeist und Fairness beibringen zu können. Dieses Ideal der viktorianischen Persönlichkeitsbildung versuchte besonders England der afrikanischen Seele aufzudrängen. Bereits 1889 bekam der erste Afrikaner in England einen Profivertrag, wenn auch nicht aus Goalgetter.
„Othello“ Wharton, wie der Profisportler nach literarischem Vorbild genannt wurde, bestach als sportliches Multitalent. Er spielte erfolgreich Kricket und setzte im Sprint über 100 Yards neue nationale Maßstäbe. Wharton starb freilich verarmt und wurde schnell vergessen. Obwohl die Zeiten, in denen barfüßige afrikanische Fußballteams durch Europa tourten, längst der Vergangenheit angehören, ist gerade in Sachen Fußball das Zeitalter der Kolonialisierung noch lange nicht passé. Auch wenn bei der kommenden Fußballweltmeisterschaft im Juni dieses Jahres mit Kamerun zum ersten Mal ein afrikanisches Team gute Titelchancen hat, bleibt das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage an afrikanischen Kickern bestehen. Und so wird wohl auch Faruk, ein 15-jähriger Ghanaer, weiter seiner sportlichen Karriere hinterherträumen: Täglich steht der Junge um fünf Uhr morgens auf, um eine Stunde auf dem Fahrrad zum Fußballplatz zu radeln. Faruk gehört zu den besten Spielern der Jugendmannschaft „Mighty Jets“, und in der wird er wohl auch zur Aufbesserung der Vereinskasse beitragen können: Der Club hat die Rechte an dem Jungen. Wenn er 18 und nach wie vor ein begnadeter Fußballer ist, wird er wohl an einen europäischen Club verkauft.
Der Film „Sold out – from Street to Stadium“ hat heute um 22.30 Uhr im Künstlerhaus-Kino in Wien Premiere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen