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Immer schön links halten

Der DGB hat einen neuen Vorsitzenden – und der beschwört alte Rezepte im Umgang mit Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit

aus Berlin BARBARA DRIBBUSCH

Der neue DGB-Chef Michael Sommer weiß, was er zu tun hat. Gewerkschafter müssen glaubhaft machen, dass sie immer nur das Beste für die Arbeitnehmer wollen und überhaupt eine gerechtere Welt. Aber Sommer kennt auch das Problem: Die Frage, was eigentlich als das Beste und was als gerecht gilt, ist heute nicht mehr so einfach zu beantworten. Es sei denn, man befindet sich auf dem 17. Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und wurde gerade frisch zum Vorsitzenden gekürt.

Dort erneuerte Sommer gestern nach seiner Wahl zum neuen DGB-Chef in seiner Grundsatzrede alte gewerkschaftliche Merksätze: die Tarifautonomie muss erhalten bleiben, das Arbeitsrecht darf nicht ausgehöhlt werden. Außerdem sollten die Menschen im Notfall auf eine „soziale Grundsicherung“ rechnen dürfen. Und – das ist schließlich aktuell – die Ganztagsbetreuung für Kinder müsse ausgebaut werden. „Wir kämpfen für soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit, damit die Menschen die Freiheit haben, ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können“, erklärte Sommer und setzte hinzu „Merke: Sicherheit ist die Voraussetzung von Freiheit.“

In seiner Grundsatzrede vor 400 Delegierten in Berlin hatte Sommer den DGB damit ganz auf den Kurs des traditionellen linken SPD-Flügels eingeschworen und sich sogar der Umverteilungsrhetorik der PDS angenähert: Keine Abstriche bei den Sozialleistungen, keine Aufspaltung in Regel- und Wahlleistungen im Gesundheitswesen. Eine soziale Grundsicherung solle möglicherweise durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, das Stopfen von Steuerschlupflöchern und eine Reform der Kapitalertragssteuer finanziert werden. „Der Staat braucht mehr Einnahmen“, meinte Sommer, „und deshalb sollte unter anderem auch die Unternehmenssteuerreform auf den Prüfstand gestellt werden.“

Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit solle zudem die Arbeitszeitverkürzung „ein wichtiger Beitrag“ bleiben. Flexibilisierung in der Arbeitswelt sei zwar von den Gewerkschaften gewollt, aber nur, „wenn wir sie sozial- und arbeitsrechtlich regeln und tarifpolitisch gestalten können“, sagte der neue DGB-Chef. Flexibilisierung lehne der DGB jedoch ab, „wenn sie nur das Vehikel für den Abbau tariflicher und sozialer Standards ist“.

Mit der Beschwörung dieser traditionell linken Positionen setzte sich der Gewerkschaftsbund auch von den Grünen ab. Sie hatten in der Vergangenheit für eine flexiblere Auslegung der Tarifverträge plädiert und die steuerliche Freistellung von Veräußerungsgewinnen von Kapitalgesellschaften maßgeblich mitgetragen.

Die klare politische Anlehnung an die SPD-Linke und das Beschwören alter Umverteilungsrezepte, die in Sommers Rede zu vernehmen waren, lösen allerdings nicht das Problem der Gewerkschaften. Es wurde auch auf dem Bundeskongress sichtbar: Es mangelt an Nachwuchs, die Mitgliederzahlen sinken. Auch die Rede Sommers kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der DGB mit seinen acht Mitgliedsgewerkschaften das gleiche Problem hat wie die Parteien: die politische Glaubwürdigkeit.

Denn längst ist auch der DGB mit seiner Forderung nach Sicherheit und Gerechtigkeit in Widersprüche geraten. Stichwort Flexibilisierung: Die Gewerkschaften wenden sich gegen einen Ausbau der Befristungsmöglichkeiten bei Arbeitsverträgen. Die praktische Folge aber sieht mitunter dann so aus, dass befristet Beschäftigte nach Ablauf ihres Vertrages nicht mehr weiterbeschäftigt werden dürfen, aber auch keine Festanstellung bekommen, sondern einfach gegen andere befristet Beschäftigte ausgetauscht werden. Auch die Regeln gegen Scheinselbstständigkeit, die von Sommer gestern noch mal gelobt wurden, führten in manchen Fällen dazu, dass Agenturen oder Architekturbüros die Zahl der freien Mitarbeiter einfach reduzierten, Leidtragende waren also die Schwächeren.

Stichwort: Sozialstaat. Die alte Gewerkschaftshaltung auch in der Gesundheitspolitik besteht darin, Leistungskürzungen zu vermeiden. Andererseits hat sich die DGB-Spitze früher auch stark für eine Senkung der Lohnnebenkosten, sprich Sozialbeiträge ausgesprochen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen und die Beschäftigten mehr Lohn in der Tasche haben. Gleichbleibende Sozialleistungen bei sinkenden Beiträgen aber gibt es nicht – es sei denn, man zapft andere steuerliche Quellen an. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und mehr Steuern auf Kapitalerträge oder Aktiengewinne reichen dazu nicht aus. Sommer schlug daher in seiner gestrigen Rede auch vor, noch über weitere Einnahmequellen „nachzudenken“, zum Beispiel über eine „Wertschöpfungsabgabe oder eine Bit-Steuer“. Wertschöpfungsprozesse in digitalen Netzen könne man nicht völlig von der Steuer verschonen.

Die politische Rhetorik des DGB besteht traditionell darin, mehr soziale Umverteilung zu fordern und sich etwas weniger um die Frage zu scheren, woher denn das Geld kommen soll. Die politischen Parteien werden sich dazu jedoch verhalten müssen: Heute und morgen sprechen vor dem DGB-Bundeskongress SPD-Chef und Bundeskanzler Gerhard Schröder, Grünen-Vorsitzender Fritz Kuhn, FDP-Chef Guido Westerwelle, die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer und der Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber.

Indirekt gab Sommer in seiner Rede jedoch schon eine konkrete Empfehlung zur Bundestagswahl. „Ich vergleiche 16 Jahre Helmut Kohl mit vier Jahren Gerhard Schröder. Die vergangenen vier Jahre haben für uns, haben für die Arbeitnehmer wesentlich mehr gebracht als die 16 Jahre zuvor.“ Hätte man sich fast gedacht.

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