: Philosophischer Müllprozess
Im Prozess um unversteuerte Provisionszahlungen beim Bau von Müllverbrennungsanlagen hat der angeklagte Ingenieur Hans Reimer gestern bei einem Aphorismus des Philosophen Walter Benjamin Zuflucht gesucht. Bei der Bewertung seiner handschriftlichen Notizen, auf die sich die Anklage stützt, gehe das Gericht nach dem Motto vor: „Je singulärer das Ereignis, desto pauschaler die Erklärung.“
Den differenzierten Umgang mit seinen in Aix-en-Provence beschlagnahmten Notizen, führte er daraufhin in einer ausführlichen Erklärung selbst vor. Reimers Botschaft: Die Liste, die im Prozess eine zentrale Rolle spielt, sei ungeeignet, ihm die Entgegennahme von unversteuerten Provisionen nachzuweisen.
Reimer war in den 80er und 90er Jahren eine Schlüsselfigur beim Bau von Müllverbrennungsanlagen. Seine damalige Firma, das Ingenieurbüro Göpfert, Reimer & Partner (GRP) erstellte im Auftrag der Kommunen die Ausschreibungsunterlagen und wertete die Angebote aus. Gleichzeitig beriet Reimer die Anlagenbauer, wofür er angeblich Honorare erhalten hat, die er nicht versteuert haben soll. Der Ingenieur wehrte sich gegen diesen Vorwurf mit der Behauptung, er habe das Geld bloß weitergereicht: zur Bestechung von Politikern – so wie im Kölner Müllskandal.
Gestern wies der Angeklagte zunächst darauf hin, dass es sich bei der Auflistung um Notizen unterschiedlichen Charakters handele, nicht aber um eine buchhalterische Erfassung von Einnahmen. Einzeln ging er die angeblichen Zahlungen durch, um sie als nicht geleistet oder versteuert zu charakterisieren.
Bei einer Turbinenlieferung für Hamburgs jüngste Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm zum Beispiel, habe er gar kein Honorar erhalten haben können. Aufgrund seines Ausscheidens bei GRP habe er keine Möglichkeiten gehabt, den angebotenen Preis für die Turbinen zu erfahren. Ein in diesem Zusammenhang aufgeführter Zahlungsvermerk beziehe sich auf „allgemeine akquisitorische Maßnahmen“. Reimer widersprach Zeugen, die während des Prozesses aufgetreten waren. Am kommenden Mittwoch wird wohl bereits plädiert. knö
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen