„Glück ist nur für Idioten“

Er ist ein Hippie, und er ist unbekehrbar. Carlos Santana spricht über Erfolg und Weltvertrauen, den 11. September, die Geistlichkeit des Alltags und darüber, warum er sich nicht als Latino-Ikone sieht

Interview HILKE SCHELLMANN
und KATHARINA TEUTSCH

taz: Herr Santana, wie hat Sie der Erfolg verändert?

Carlos Santana: Entscheidend verändert hat mich meine Frau. Sie hat mir klar gemacht, dass man sich nicht ständig als Opfer sehen darf. Die meisten Menschen fühlen sich immer als Opfer: Sie sind nur dann glücklich, wenn es ihnen schlecht geht. Meine Frau hat mir geholfen, diese Einstellung wie eine Schlangenhaut abzustreifen.

Erfolg und Fortschritt machen mich glücklich, aber ich bin nicht besessen von ihnen. Vor allem meine erfolgreichen Alben wie „Abraxas“ und „Supernatural“ haben mir die Möglichkeit gegeben, viele Menschen zu berühren. Aber Würde und Göttlichkeit sind unkäuflich, man muss sie bei sich selbst suchen.

In den 60ern sind Sie mit Ihrer Familie in die USA emigriert. Wie hat das Ihr Leben geprägt?

Das damalige San Francisco war ein revolutionärer Ort: Die Leute nahmen Meskalin, LSD und rauchten Marihuana. Mighty Waters, die Rolling Stones, Miles Davis und John Coltrane waren Symbole einer ganzen Generation. Ich liebte die Vielfalt und das Innovative in ihrer Musik. Ich öffnete mich für vieles, statt einfach nur „Mexikaner“ zu sein.

Darum geht es doch: mit der Musik etwas Höheres zu erfassen. Zum ersten Mal habe ich das in der Musik John Coltranes realisiert gesehen. Ich spürte, dass das, was dieser kleine Mann tat, größer war als er selbst. Danach war ich nicht mehr der Gleiche.

Ist Ihnen Ihr Massenerfolg nicht manchmal suspekt?

Es geht doch nicht bloß darum, etwas Einzigartiges zu schaffen, sondern vor allem auch, die Menschen daran teilhaben zu lassen – ihr Bewusstsein zu erweitern, anstatt ständig nur an der eigenen Sandburg zu bauen. Schließlich besteht die Burg nur aus Sand. Das, was bleibt, sind doch die Intentionen – warum du dieses oder jenes getan hast.

Ich will die Menschen einladen, Vertrauen zu haben. Vertrauen in die Welt bedeutet Vertrauen in sich selbst. Erst diese Form von Selbstbewusstsein ermöglicht das Außergewöhnliche. Dazu braucht es kein Glück. An Glück glauben nur Idioten.

Sehen Sie sich als eine Art Stimme der Latinos in den USA?

Glücklicherweise nicht. Ich möchte keine spezifische Gruppe repräsentieren. Ich trage kein Emblem, das mich zum Sprecher einer ethnischen Gruppe oder Bewegung macht. Ich kann mich nicht mit einer Nation identifizieren – dieses Denken finde ich ahistorisch.

Als was sehen Sie sich dann? Für viele sind Sie ein Symbol.

Sehen Sie, ich kann meinen Stammbaum bis zum Jahr 1715 zurückverfolgen. Und alle meine Vorfahren hatten diesen besonderen Moment: sie blickten sich in die Augen, wurden Seelenverwandte und heirateten. Alle diese Menschen sind verantwortlich, das ich jetzt hier bin. Ich sehe in mir das Beste aus all diesen Menschen personifiziert.

In Ihrer Heimatstadt Autlán wurde im vergangenen Jahr ein Denkmal für Sie errichtet. Gefällt Ihnen dieser Gedanke?

Nun, ich bin dankbar. Ich bleibe aber weiterhin der Gleiche, wohne im gleichen Haus, bin mit der gleichen Frau verheiratet. Für mich ist das Denkmal nicht so wichtig. Für die, die es errichten, ist es wichtig: Es gibt den Leuten ein Gefühl von Identität. Ich aber lebe für den Moment. Ich will gute Konzerte spielen und lade die Menschen ein, sich mit der gleichen Intensität dem Augenblick zu verschreiben.

Wie stehen Sie zum Hype um den Latin Pop? Hat die Musik von Ricky Martin und Marc Anthony noch lateinamerikanische Wurzeln, oder ist sie nur ein kommerzielles Produkt?

Sie ist beides. Aber viele Amerikaner tendieren zu Stereotypisierungen. Warum wollen mich die Leute zum Lateinamerikaner machen? Ich mache keine lateinamerikanische Musik, sondern mische afrikanische Rhythmen mit Gitarrenmusik.

Sie sehen sich also nicht als Vater des Latin Pop?

Nein. Es wäre eine viel zu große Verantwortung für mich, als der Erfinder von irgendetwas zu gelten. Kopiert man das Werk einer Person, dann heißt das Plagiat. Kopiert man aber von vielen, dann ist es Innovation. So verstehe ich meine Musik: Sie ist ständige Entwicklung. Ich nehme mir von allem das Beste.

Sie gehören zur Generation, die einst gegen Vietnam demonstriert hat. Wie stehen Sie zur US-Politik nach dem 11. September?

Ich habe großes Verständnis für die Menschen, die an Bushs Politik Anstoß nehmen, und teile die Kritik an jemandem, der in Afghanistan Carepakete auf vermintes Gebiet werfen lässt. Ich bin nicht wie Bon Jovi oder die Beach Boys, die sich in die amerikanische Flagge wickeln. Ich hülle mich in die Flagge der ganzen Menschheit. Gewalt bedeutet immer Feindschaft. Niemand hat niemals das Recht so sehr auf seiner Seite, dass dies die Tötung von Menschen rechtfertigt.

Bush und Bin Laden bekämpfen sich mit blinder Ignoranz. Ich unterstütze keine Regierung, sondern eine Bewegung, die Respekt und Freundschaft lehrt. Es ist eine Einstellung, die im Privaten beginnt. Niemand hat das Recht, Frauen zu verhüllen. Es gilt, über die Grenzen von Jesus, Mohammed, Buddha und Krishna hinauszudenken. Wir müssen aufhören, Schuld auszusprechen, und beginnen zu vergeben. Es gibt keine Zukunft ohne Vergebung.

Das klingt sehr religiös.

Meiner Meinung nach sind Regierungen und religiöse Organisationen wie ein kaputtes Fahrrad, das nie funktioniert hat und nie funktionieren wird, solange es nur um die Durchsetzung individueller Interessen geht. Im Namen des Christentums zum Beispiel sind unglaubliche Verbrechen begangen worden. Spiritualität hingegen beschäftigt sich mit der ganzen Menschheit. Meine Aufgabe auf dieser Welt ist es, die Menschen dazu einzuladen, die Geistlichkeit des Alltags zu erfahren.

Welche Projekte würden Sie gerne verwirklichen?

Ich kann mir gut vorstellen, ein Projekt mit Michael Jackson und Prince zu realisieren. Ich halte beide für extrem talentiert.

Schon. Aber wie wollen Sie ausgerechnet diese beiden Exzentriker zusammenbringen?

Vielleicht wird es gerade deswegen funktionieren? Es soll etwas vollkommen Neues entstehen, das weder nach Prince noch nach Michael Jackson, noch nach Santana klingt. Es muss ein großes Ereignis werden, das uns zusammenbringt. Der Song ist dafür das Vehikel.