: An den Ufern der Ordnung von Lawson
Das Kino als majestätische Metapher für freudigen Kommunitarismus: In Frank Darabonts „The Majestic“ zeigen die Kleinstadtbewohner, dass Gemeinschaft funktioniert, wo soziale Übersichtlichkeit herrscht. Dann verzeiht man auch einem Fremden, dass man ihn für einen Sohn der Stadt hielt
von MANFRED HERMES
In Hollywood blühen die falschen Gefühle, Storys und manchmal auch ein falsches Staatsverständnis, behauptet jedenfalls Hollywood immer mal wieder – vorausgesetzt, die Kosten für dieses Bekenntnis bleiben im Rahmen.
Peter Appleton (James Carrey) ist in Hollywood ein kleines Licht. Wir schreiben die frühen 50er-Jahre, nach einem mäßig kreativen Genreprodukt will er jetzt die Sozialkritik neu erfinden. Da fährt ihm McCarthys Ausschuss für antiamerikanische Umtriebe in die Planung und erwartet von ihm eine Selbstanklage und die Denunziation anderer Russenfreunde.
Der Schmähung kommt der Zufall zuvor. In einer Unwetternacht stürzt Appleton im Auto von einer Brücke in einen Fluss, der ihn an die Ufer der kleinen Stadt Lawson spült. Dort schlägt dem abgerissenen Mann eine erstaunliche Freundlichkeit entgegen. Er wird verwechselt, man hält ihn für Luke Trimble, einen Sohn der Stadt, von dem man annahm, dass er im Zweiten Weltkrieg gefallen sei. Da Appleton zudem sein Gedächtnis verloren hat, kann er sich mit dieser Identität ebenso gut wie mit jeder anderen arrangieren.
Lawson ist ein soziales Idyll, das an kriegsbedingter Überalterung leidet. Das ist gut für Schauspieler wie Martin Landau, James Whitmore oder Allan Garfield, trägt aber zu einer Stimmung bei, die entspannt und wattig „metaphysisch“ bis zur Schläfrigkeit ist. Die Täuschung, die keine ist, hat auch ihre guten Seiten. Appleton/Trimble wird ein wichtiger Bestandteil der kleinen Gemeinschaft, tritt in alte Rechte an Adele Stanton ein, und so verjüngt beschleunigt und dramatisiert sich der Film.
Dass man seine Identität verlieren muss, um sie auf einer höheren Umlaufbahn umso vollständiger zu erlangen, ist ein Motiv, das vor allem dem amerikanischen Filmdrama immer wieder Sinn gegeben hat, am eindrucksvollsten natürlich den Hitchcock-Thrillern der 40er- und 50er-Jahre. Wenn etwa Ingrid Bergman durch Cary Grant in „Verdacht“ oder Grant durch Eva Marie Saint in „Der unsichtbare Dritte“ von einer Null zu einer Eins wird, dann entzieht diese gegenseitige Rettung aus Todesgefahr und Banalität der heterosexuellen Paarbildung selbst die (reproduktive) Banalität.
Auch in „The Majestic“ gibt es diese geschlechtlich voreingestellte Dialektik. Aber Adele Stanton ist eine wenig eigenständige Entität, eher eine Repräsentantin der Ordnung von Lawson, und das nicht nur, weil sie Juristin werden will.
Diese Ordnung von Lawson könnte amerikanischer nicht sein: Da man so kurz nach dem Krieg nicht ohne Perspektive und Beschäftigung bleiben will, soll das „Majestic“ wieder aufgebaut werden. Der Kinopalast wurde früher von den Trimbles betrieben, musste während des Krieges aber geschlossen werden. Die Sanierung überfordert die Eigentümer, und so wenden sie sich an den Rat der Stadt. Der beweist gesunden Bürgersinn und bewilligt eine Subvention, ohne große Umstände zu machen.
Mit diesem Wiederaufbau entsteht ein Ort für eskapistische Freuden, aber „Kino“ wird hier auch zur majestätischen Metapher für eine Zivilgesellschaft mit kommunalem Antlitz hochgespielt. Jeder hilft mit, wo er kann. Der eine bringt die Schrauben, andere stellen Arbeitskraft zur Verfügung, so läuft das in den USA.
Mit diesem Erfolg im Rücken lassen sich dann weiter gehende Forderungen erheben. Der Film macht Rechnungen auf, die immer wieder um denselben Pol rotieren: Gemeinschaft kann es nur in sozialer Übersichtlichkeit gedeihen, der Staat ist ein abstraktes Gefüge, das seinerseits immer wieder von einer Basis mit Leben gefüllt werden muss. Man ist bereit, nationale Pflichten zu leisten, hat ja auch die „eigenen Jungs“ in den Krieg gehen lassen, aber die Verfassung ist letztlich nur ein Stück „Papier mit Unterschrift“ und jederzeit widerrufbar.
Diese Drohung ist missverständlich, wird hier aber vor allen den faschistoiden Bundesbehörden hinter die Ohren geschrieben. Die waren in der Zwischenzeit nicht untätig und sehen in Appletons Verschwinden einen Grund für die Verdopplung ihrer Anstrengungen. Zugleich hat der beim Anblick seines eigenen Films das Gedächtnis zurückerlangt. Die Kleinstadtbewohner fühlen sich hintergangen, geben Appleton aber doch die oben beschriebenen Lehren mit. Sie helfen ihm, sich in größeren Politzusammenhängen als Verteidiger demokratischer Grundrechte aufzubauen.
Aber „The Majestic“ gäbe sich natürlich nicht verfassungs- und staatskritisch, wenn er nicht gleichzeitig staatstragend wäre. Die patriotischen Bläser und Streicher lassen daran keinen Zweifel. Eingekeilt zwischen Nachbarschaft und Staat, Wahrheit und Kino ergibt das eine ziemlich verschwurbelte Mischung für ein gehobenes Exportprodukt der Unterhaltungsindustrie.
„The Majestic“. Regie: Frank Darabont. Mit Jim Carrey, Martin Landau, Allan Garfield, David Odgen Stiers u. a. USA 2001, 153 Min.
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