Fatale Funkstille

Indien und Pakistan sprechen nicht mehr miteinander

NEU-DELHI taz ■ Mit der Abberufung des pakistanischen Botschafter Qazi Jehangir am vorigen Samstag wurde medienwirksam dokumentiert, dass nun auch die letzte offizielle Verbindung zwischen beiden Ländern ein vorläufiges Ende genommen hatte. Zwar sind die diplomatischen Beziehungen damit nicht abgebrochen, doch jeder diplomatische Kontakt bleibt auf absehbare Zeiten auf Briefkästen beschränkt, da auch der indische Botschafter in Islamabad seinen Schreibtisch geräumt hat und seit Dezember in Delhi residiert.

Die Demission war von Indien gewünscht worden. Der vordergründige Anlass war der jüngste Terrorakt auf eine Wohnsiedlung der Armee in Kaschmir. Doch er holte nur die von Indien verordnete Funkstille nach, die das Verhältnis beider Länder seit dem letzten Juli bestimmt hat, als das Gipfeltreffen in Agra in letzter Minute geplatzt war.

Premierminister Vajpayee erhält für seine Dialogverweigerung breite Unterstützung aus allen Parteien und sie versöhnt ihn mit seiner eigenen politischen Basis, der nationalistischen BJP. Die Wahlniederlage im größten Bundesstaat im letzten Februar war ihm angelastet worden, und die religiösen Kreise in der Partei hatten begonnen, mit dem Thema des Tempelbaus von Ayodhya die Stimmung gegen Vajpayee anzuheizen. Auch die Pogrome im Bundesstaat Gujarat zwangen den Premier, seine gemäßigte Haltung mit antimuslimischen Äußerungen zu korrigieren. Der Anschlag auf die Militärsiedlung in Kaschmir war dann eine Gelegenheit, die große Empörung über Gujarat in den Hintergrund zu schieben und die Nation ebenso wie seine Partei wieder hinter sich zu scharen.

Im Gegensatz zu Indien lässt Pakistan keine Gelegenheit aus, seine Dialogbereitschaft zu signalisieren. „Wo immer, wann immer, auf was immer für einer Ebene“, lautet die Formel, die Präsident Muscharraf und seine Minister beinahe täglich wiederholen. Er tat es auch wieder bei seiner jüngsten Rede am letzten Montag. Doch gleichzeitig wiederholte er dabei die alten Vorwürfe mit solcher Schärfe, dass jedem Zuhörer klar wurde, dass auch Muscharraf eine Wiederaufnahme des Dialogs nicht wünschte. Auch der Militärherrscher, der seine Macht mit niemand teilen muss, ist in seiner Manövrierfähigkeit eingeschränkt.

Das Attentat auf die französischen U-Boot-Ingenieure in Karatschi am 8. Mai war ein deutliches Signal, dass Armee und Regierung den extremistischen Untergrund nicht unter Kontrolle haben. Für viele Pakistaner war auch der darauf folgende Terrorakt in Jammu das Werk von Kräften, die sowohl Vajpayee wie Muscharraf als Gegner betrachten. Ausgerechnet in dieser Situation inneren und äußeren Drucks musste der Präsident zur Kenntnis nehmen, dass die politische Opposition ihm nicht zu folgen gewillt ist.

Das Rekordergebnis des präsidialen Referendums stellte sich, statt ein Triumph zu werden, als Misserfolg heraus. Als Muscharraf am letzten Wochenende die Politiker zu sich rief, um Geschlossenheit zu demonstrieren, lehnten diese die Einladung ab. In dieser Situation hätte ihm jedes Entgegenkommen gegenüber Indien den Vorwurf des Verrats an Kaschmir eingetragen – und einen Verrat kann sich selbst ein Militärdiktator nicht leisten.

BERNARD IMHASLY