: „Easy“-Jugoslawien?
Wiederentdeckung einer der ehemals bedeutendsten europäischen Kinematographien: Metropolis startet viermonatige Retrospektive vom Partisanenfilm bis zu postmoderner Heiterkeit
von ALEXANDER MIRIMOV
Alles braucht seine Zeit und hat seine Logik. Dass es in Jugoslawien auch vor Kusturica Filme gab, daran hat hierzulande wohl keiner (der Kusturica kennt) gezweifelt. Aber: Hat man diese Filme auch gesehen? Beziehungsweise: Wann hat man sie das letzte Mal gesehen? Oder: Lohnt es sich überhaupt, diese Filme zu sehen?
Die Antwort auf die solche Fragen gibt die jetzt beginnende, auf vier Monate angelegte Retrospektive des jugoslawisch-serbischen Films im Metropolis, mit der erstmals seit Jahren eine der seinerzeit bedeutendsten europäischen Kinematographien gewürdigt wird. Zusammengesetzt aus 17 Filmen, eingeteilt in vier thematische Blöcke, ist die Reihe eine (Wieder-)Entdeckungsreise.
Begonnen wird mit einer Anspielung auf den Gründungsmythos eines Staates, dessen Name inzwischen Geschichte ist: „Vom Partisanenmythos zum magischen Realismus – der jugoslawische Weg im Film“: Unter diesem Titel läuft im Juni der erste Teil der Reihe. Der sogenannte Partisanenfilm, eine Mischung aus Western und Propagandafilm und eine Begleiterscheinung des Tito-Kultes, ist jahrelang eine Art Markenzeichen des jugoslawischen Mainstreams gewesen. Als Großmeister des Genres gilt der heute in Zagreb lebende Veljko Bulajic, dessen Schlacht an der Neretva das Programm eröffnet. Für seinen von Italien und Deutschland koproduzierten Film von 1969 hat Bulajic ein großes Aufgebot an internationalen Stars (unter ihnen Orson Welles) gewonnen.
Fernab jeder Pathetik bewegt sich dagegen die Darstellung der Kriegs- und Nachkriegszeit in Drei von Alexandar Petrovic aus dem Jahre 1965. Petrovic avancierte in den späten Sechzigern zu einer Galionsfigur der sogenannten „schwarzen Welle“ (der jugoslawischen Nouvelle Vague) . Bereits in seinem Frühwerk bricht er aber schon deutlich mit der staatlich verordneten Partisanen-Epik und zeigt komplexe seelische Tatbestände sowie die Absurdität des Krieges auf.
Die beiden anderen im Juni gezeigten Filme haben – anders als die oben beschriebenen – deutlich mehr Gemeinsamkeiten. Kusturicas Papa ist auf Dienstreise sowie Tito und ich von Goran Markovic stellen beide eine poetisch-ironische Hommage an das Nachkriegsjugoslawien dar. Beide Geschichten werden aus der Sicht eines kleinen Jungen erzählt und wirken großteils autobiografisch. Außerdem haben sowohl Kusturica als auch der zehn Jahre ältere Markovic an der selben Filmhochschule, der berühmten FAMU in Prag studiert und gehören zur sogenannten „jugoslawischen Prager Gruppe“, die Mitte der Achtziger für eine erfrischende Wende im jugoslawischen Film gesorgt hat. Und schließlich, als ob es nicht genug wäre, wird in beiden Filmen der Vater vom selben Schauspieler gespielt, nämlich von Miki Manojlovic (bekannt unter anderem für seine Rolle in Kusturicas Underground; übrigens ist in Tito und ich auch der zweite Underground-Star – Lazar Ristovski – zu sehen).
Dabei ist Tito und ich (1992) aber keinesfalls eine Kopie von Papa ist auf Dienstreise (1984). Denn an die Stelle von Kusturicas Tragikomik tritt bei Markovic postmoderne Gelassenheit gepaart mit Heiterkeit auf, was aus seinem Film ein wunderbares Beispiel von frühem „Easy Listening“ macht. Ein „Easy-Jugoslawien“ also. Bei einem Werk, das als letzter Film gilt, der vor Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 90er Jahre in Jugoslawien fertiggestellt wurde.
Die Schlacht an der Neretva: 1. 6., 19 Uhr; 3.6., 21.15 Uhr sowie 4.+5.6. jeweils 17 Uhr. – Drei 16.6., 21.30 Uhr; 18.6., 17 Uhr; 19.6., 19.15 Uhr. – Papa ist auf Dienstreise: 19.+20.6., 21.15 Uhr; 22.6., 17 Uhr; 23.6., 19 Uhr. – Tito und ich: 27.6., 17 Uhr; 28.6., 21.15 Uhr; 29.6., 21.15 Uhr; Metropolis
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