Manager auf Knien

Die Hauptstadt und ihre Diskurse: „Republik Vineta“ am Gorki Theater erzählt vom Ende der Utopien. Doch Moritz Rinkes Karrieristen-Satire verlegt den Wahn in die Personen

Keine Handys, aber Flöte spielend auf Isomatten im Kreis hockend: Das ist für die sechs energiegeladenen Protagonisten aus Moritz Rinkes Stück „Republik Vineta“ das Schlimmste – und zugleich der größte Spaß für das Publikum in der Inszenierung von Stefan Otteni im Gorki Theater.

Managertypen auf Knien, die einfache sinnliche Wahrnehmung übend und innerlich am Siedepunkt, weil der Bebauungsplan drängt. So sähe man sie gern, die Siegermimen, die mit jedem federndem Schritt einem Flugzeug zuzueilen scheinen – verdammt zur Langsamkeit. Man amüsiert sich schadenfroh – allerdings nicht über drei Stunden lang.

Denn der Plot um ein Bebauungskonzept ist lang und gebaut wie eine Treppe, die unvermutet vor einer Wand endet. So verbissen, wie die Protagonisten an der Zukunft basteln, hätte man es sich eigentlich denken können: Das geht schief, die Euphorie ist unangebracht, was sie vor sich zu haben glauben, liegt eigentlich schon hinter ihnen. Utopia, stellt sich schließlich heraus, ist bloß noch ein Simulationsmodell für Workaholics und die blutige Zuspitzung der Konflikte zwischen Technokraten und postmodernen Sehnsuchtsträgern ein therapeutisches Missverständnis.

Architekten, Unternehmensberater, Personaltrainer, Bauleiter, Bezirkspolitiker – wer solche Arbeit ausübt, steht am Gorki Theater unter Generalverdacht, blind zu sein für das einzelne Leben.

Den Charakter liefert der Beruf gleich mit in Rinkes Schwank über das Ende der Utopien. Mit sichtlich großer Lust an der Überzeichnung von Karrieresucht und Beflissenheit agieren Burghart Klaußner, Joachim Meyerhoff, Tilo Nest und Fabian Krüger. Ulrich Matthes wandelt als romantischer Künstlertyp eine Zeit lang wie Jesus über das Wasser unter ihnen, bis auch ihn ein absolutistischer Impuls überkommt.

Moritz Rinke, der „Republik Vineta“ vor zwei Jahren als Farce zur Weltausstellung schrieb, ist in Berlin stadtbekannt seit seiner Zeit als Redakteur beim Tagesspiegel. Draußen, in der Pause, ist zu hören: „Jetzt visualisiert er seine Kolumnen.“

Tatsächlich haben die Hauptstadt und ihre Diskurse wie die Architekturdebatte, das Erbe des Sozialismus, die Dienstleistungsgesellschaft und ihre Verlierer tiefe Abdrücke im Stück hinterlassen.

Nur Irre konnten jemals an das Glückverheißende der Parolen glauben, stellt Rinke fest. Aber bis zu der Vernunft, die diesen Irrsinn hervorbringt und für sich kanalisiert, dringt sein Stück nicht vor.

Doch für eine Satire fehlt ein Schuss Tempo und Bösartigkeit. Oft scheint die einzelne Textpassage pointiert, die dafür entwickelte Rolle aber zu holzschnittartig. Die konventionelle Bauart der Handlung verlegt den Wahn in die Personen; da hat man dann eine Hand voll schräger Charaktere, aber kaum noch den Blick frei für das System, das sie produziert hat.

Am Ende erinnern Rinkes Figuren an die Konsumüberforderten und Modernisierungsverlierer in den Stücken von Gesine Danckwart und René Pollesch. Aber diese beide Autoren arbeiten mehr in der Sprache, zeigen mehr das Unglück in den Rissen zwischen Individuum und der Wahl seiner möglicher Textbausteine und schrauben sich dabei immer tiefer in die Entfremdung hinein. Das erreicht „Republik Vineta“ nicht.

Vieles streift dieser Schwank und verrührt es in einem Topf. Mit Kleinigkeiten, wie etwa der Unterscheidung zwischen einem Leben in politischen Diktaturen oder in Städten, die nach dem Kriterium der größten Rendite gebaut worden sind, hält er sich dabei nicht auf. Denn das eine wie das andere findet der Autor unter den gescheiterten Projekten des letzten Jahrhunderts. So bleibt seine Kritik vage und schillernd.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Republik Vineta“ im Maxim Gorki Theater, am Festungsgraben 2, Berlin-Mitte. Weitere Aufführungen am 4., 8., 9., 16. und 25. Juni.