Bombastische Beats

Von Ravern, Flüchtlingen und anderen beweglichen Zielen: Mit Blanca Lis Choreografie „Borderline/Grenzgänge“ sucht die Komische Oper Anschluss an die zeitgenössische Kunst. Videobilder und elektronische Musik sollen das Ballett tanzbar machen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Man hätte es ahnen können. Wenn Ballettpremieren angekündigt werden als „choreografisches Projekt an den Grenzen von Wahnsinn und Normalität“ und „ein Team von Ausnahmekünstlern ein Bühnenereignis kreiert“, dann ist Vorsicht geboten. Das ist die Sprache von Agenturen, die Parfums und Porzellan bewerben. Seit Wochen verschickt die Pressestelle der Komischen Oper dicke Pressemappen, bietet exklusive Termine für Porträts an und hinterlässt Nachrichten auf allen Anrufbeantwortern. Als ob es sich bei dem Stück „Borderline/Grenzgänge“, das die Choreografin Blanca Li zusammen mit den Komponisten Matthew Herbert, Tao Gutierrez und den Künstlern Lucy und Jorge Orta entwickelt hat, um ein höchst anspruchsvolles Werk handelt, auf das man das Publikum vorbereiten muss.

Schon das erste Stück Blanca Lis „Der Traum des Minotaurus“ wurde mit der zwischen Clubszene und Opernhaus schillernden Biografie der Choreografin beworben. Sichtlich schimmerte durch die Begeisterung, mit der von ihren Extravaganzen in Stripclubs, der HipHop-Szene, in Videoclips und als Model berichtet wurde, der Wunsch der Komischen Oper, ein neues Publikum an das krisengeschüttelte Haus zu locken. Aber neu ist bisher nur die Größe des Werbeaufwands und die Dreistigkeit, mit der konventionelle Tanzkunst, die durch Videobilder und elektronische Musik zusätzlich geglättet wird, als „zeitgenössische Kunst“ verkauft wird.

Die darf selbstverständlich nicht ohne kritischen Anspruch daherkommen. „Kriege z. B. sind krank“, weiß Blanca Li (O-Ton Programmheft) und „Krank ist, dass unser Leben vom Konsum bestimmt wird, während auf der anderen Seite der Welt Menschen verhungern.“ Im Stück steckt das Ergebnis dieser Erkenntnis dann im Design. Krieg z. B., das sind Videobilder von Kampfflugzeugen, fallenden Bomben, Explosionen; die Trikots der Tänzer davor sind mit Zielscheiben bedruckt. Die Steigerung der Gewalt in den Filmbildern erhöht die Frequenz und beschleunigt die Bewegung. Das ist keine kritische Auseinandersetzung, sondern bloß zynische Ausbeutung des Kick.

Von solchen Plattitüden wimmelt das Stück. Zwangsjackenähnliche Futterale illustrieren die „Grenze von Wahnsinn und Normalität“; doch außer dass sie ihre Arme nicht benutzen können, haben die Attitüden und Pirouetten der Tänzer nichts, was gegen die Norm des schönen Körpers verstieße. Lis Bewegungsmaterial ist beschränkt und folgt dem thematischen Aufwand und Vorwand zum Trotz traditionellen Mustern.

Lucy Orta, für die „textile Architektur“ der Kostüme verantwortlich, wurde Anfang der Neunzigerjahre mit Zeltanoraks und tragbaren Skulpturen für den nomadischen Großstädter bekannt. Einbeinig oder vierbeinig hüpfen die Tänzer mit diesen reifrockgroßen Zelten, flattern mit Planen wie Schmetterlinge oder tragen die Zelte wie Schneckenhäuser auf dem Rücken. Das ist bunt und lustig. Weniger lustig ist im Hintergrund der Videoloop aus einem der großen Flüchtlingslager. Wenige Szenen später sind die Tänzer dafür mit roten Stoffbändern verbunden, auf denen „share“ („teilen“) steht.

Der Komponist Matthew Herbert hat sich in der elektronischen Musik den Ruf eines Sampling-Pionieres erworben, der die Musik mit der Einspeisung von Geräuschen um die Vorstellung von akustischen Räumen erweitert. Seine überaus tanzbare Musik trägt die Tänzer durch diese Nummernrevue wie durch eine Nacht im Club. Von dieser Welle angeschoben, brauchen sie kein eigenes Maß mehr für Zeit und Raum.

„Borderline/Grenzgänge“ in der Komischen Oper, Behrenstr. 55–57. Die nächsten Vorstellungen am 8., 11. und 30. Juni, jeweils 20 Uhr